Es ist offenkundig, daß ihm Bildung über alles ging. Es ist überliefert, daß er nicht, wie es wohl unter Studenten damals weit verbreitet war, ein liederliches Leben führte, sondern alle Vorlesungen regelmäßig besuchte und fleißig mitschrieb, woraus er in seinem späteren wissenschaftlichen Leben noch reichlich schöpfte.
Johann Piscator war seinerzeit der bedeutendste Hebraist und ein hervorragender Lehrer, der in JB I seinen besten Schüler fand. Dieser zeichnete sich durch Talent und enormen Fleiß aus, so sehr, daß sein Lehrer schon nach kurzer Zeit bekannte, sein Schüler sei ihm an Wissen überlegen.
Von Herborn ging es für kurze Zeit nach Heidelberg, doch schon 1588 nach Basel – er schrieb sich als Johannes Buxtorfius vuestfalus camensus ein – vor allem, um dort bei Johann Jacob Grynäus zu studieren. Auch der merkte sofort, was für einen besonderen Studenten er vor sich hatte. Daher setzte er alles daran, ihn in Basel zu halten. So wurde JB I schon ein halbes Jahr nach seiner Ankunft in Basel die Professur der hebräischen Sprache angeboten, obwohl er noch nicht einmal den Magister erworben hatte! Aber er lehnte sie ab, da er sich dafür noch nicht reif fühlte. Doch ließ er sich dazu überreden, sie vertretungsweise anzunehmen. Nach seiner Promotion am 6. August 1590 wurde er einstimmig auf diesen Lehrstuhl gewählt. Seiner Promotion zum Magister ging eine Disputation voraus, die sich mit dem Thema befaßte, ob „Tiere ganz ohne Vernunft seien oder nicht“.
Von nun an war alles im Leben des JB I darauf angelegt, Basler Bürger zu werden. Nur noch ein letztes Mal besuchte er seine Heimatstadt Camen. Im September 1593 fuhr er „mit günstigem Wind von Basel nach Köln“ und suchte dann zu Fuß seine Heimat auf. Aber schon am 1. Dezember 1593 kehrte er wohlbehalten nach Basel zurück. Anfang 1594 heiratete er Margaretha, die Tochter der in Basel bekannten Familie Curio, bei der er seit 1588 gewohnt hatte. Wie weltlich dieser uns so durchgeistigt erscheinende Mann handeln und denken konnte, geht aus einem Brief hervor, den er einem Freund schrieb: „… endlich, am 10. dieses Monats Januar fiel die ersehnte Beute in meine Netze: ich stürmte heran, riß sie an mich und sagte: Du allein gefällst mir.“ Mit ihr bekam er 11 Kinder, 5 Söhne – 3 von ihnen als Drillinge, die bald starben – und 6 Töchter. Und alle überlebenden Kinder vernetzten die Buxtorfs weiter in Basel, indem sie in angesehene Basler Familien einheirateten. Nicht minder pragmatisch war die Familie Curio eingestellt. Bevor der Vater der Heirat zwischen seiner Tochter und Johannes Buxtorf zustimmte, erkundigte er sich bei einem von dessen Verwandten, Dr. Joachim Buxtorf, der Kanzler des Grafen von Waldeck war, nach Johannes‘ wirtschaftlicher Situation. Heiraten war damals nicht zuallererst eine Frage der Liebe, man mußte die Sicherheit des noch nicht existierenden Wohlfahrtsstaates privat planen.
JB I hatte eine große Familie zu ernähren, 13 Personen, dazu kam eine Magd, so daß Geld immer knapp war. Als er einmal 300 Gulden aus den Niederlanden erhielt, bedankte er sich, erwähnte aber auch: „Wenn einer hier die Last von hundert Eseln auf sich bürdete, so wird ihm gleichwohl nicht mehr zu Lohn als einem Esel.“ Und das Haushaltsgeld wird weiter verknappt durch JBs I Leidenschaft für Bücher, die sich mit dem Hebräischen, mit rabbinischen und talmudischen Schriften befaßten. Diese Bibliothek war so umfangreich, daß die Familie sie 1705 für 1000 Taler an die öffentliche Bibliothek in Basel verkaufen konnte. Wie sehr diesen großen Gelehrten die Alltagssorgen drückten, geht aus seiner Antwort an den Rektor der Akademie von Saumur, Robert Boduis, hervor, der JB I unter allen Umständen an seine Hochschule holen wollte und ihm praktisch zusagte, JB I könne seine eigenen Bedingungen formulieren. Seine Einwände betreffen Einkommen, Schwierigkeiten beim Umzug aus der sicheren Stadt Basel mit allen ihm vertrauten Umständen wie der deutschen Sprache und den ihm bekannten Lebensverhältnissen. So schreibt er explizit: „In unserem Deutschland sorgt man bei Geistlichen und Universitätslehrern fast überall außer dem Gehalt für freie Wohnung und ein gewisses Quantum an Getreide und Wein. In diesen Stücken ist mir die in Frankreich herrschende Sitte unbekannt und ebenso der Maßstab, der für den Aufwand der Akademiker gilt.“ Er wird für immer in Basel bleiben, obwohl ihn noch mancher ehrenvolle Ruf an andere Universitäten erreicht. Und Basel unternimmt auch viel, um ihn zu halten. Sein Leben wird ihm vereinfacht, sein Gehalt steigt, so daß er dann doch ein sorgenfreies Leben führen kann.
Buxtorf-Haus in Basel, „Zum St. Johannes”, Bäumleingasse 9
Mitte der 1590er Jahre beginnt eine unglaubliche Schaffensperiode. Wie sein Freund Johan Tossanus bemerkte, arbeitete JB I bis zu 14 Stunden am Tage wissenschaftlich. Dazu kommen aber noch viele Arbeitsstunden aus der Erfüllung seiner vielen Ämter, die er im Laufe seiner Jahre in Basel bekleidete: Präpositus (Vorsteher) und Ökonom des Oberen Kollegs, acht Mal Dekan der philosophischen Fakultät, 1614/1615 Rektor der Universität, oft Vertrauensperson zur Vertretung der Universität in öffentlichen Angelegenheiten. Und sein Briefverkehr mit allen Autoritäten der Theologie und des Hebräischen, mit Rabbinern in ganz Europa wie auch mit zahllosen Menschen, die ihn in Fragen ihres Glaubens konsultierten, füllt Bibliotheken und stellt heute eine wertvolle Quelle für Zeitstudien dar. Woher nimmt ein Mensch nur diese Energie?
Von nun an war Basel das Zentrum der hebräischen Studien in Europa. Hier war jetzt der größte akademische Lehrer des Hebräischen zu Hause, was schon sehr viel galt. Doch war der Forscher JB I, der Wissenschaftler, unübertroffen. Hier saß die in Europa höchste Autorität in Fragen jüdischen Glaubens, selbst für jüdische Gelehrte. So wurde er auch „rabbinorum magister“ genannt. Hier schrieb er Werke, die jahrhundertelang Standardwerke ihrer Disziplin waren. Zeitgenossen aus seinem Fach beklagten sich gar, daß JB I „in Betreff des Ausbaues jener Wissenschaft […] nichts zu thun übrig gelassen“ hat. Hans Jürgen Kistner, der ehemalige Kamener Stadtarchivar, berichtet, daß Bonner Theologiestudenten noch in den 1980er Jahren Buxtorfsche Wörterbücher benutzten. JB I war nichts weniger als der Begründer der jüdischen Studien in Deutschland und in Europa, derjenige, der ad fontes ging.
Worin aber besteht denn nun die wissenschaftliche Bedeutung des JB I aus Camen?
Dazu muß man sich erst einmal die Situation im Jahrhundert der Reformation klarmachen. Luther wies der Heiligen Schrift eine ganz neue Bedeutung zu, indem er postulierte, daß sie allein die Grundlage allen Glaubens sein müsse, der Mensch durch sie direkten Zugang zu Gott habe. Aber da wurde die Lage kompliziert.
Die damals maßgebliche Grundlage der christlichen Kirche war eine griechische Übersetzung des hebräischen Alten Tetsaments (AT), die Septuaginta. Daraus gingen für die Westkirche mehrere lateinische Tochterübersetzungen hervor. Aus einer dieser Tochterübersetzungen und der hebräischen Fassung verfertigte der Kirchenvater Hieronymus um AD 400 eine neue lateinische Bibelübersetzung, die Vulgata, noch heute die gültige Bibel der römisch-katholischen Kirche. Erst Luther griff mit seiner Übersetzung auf die hebräische Bibel Jesu und seiner Jünger zurück. Nun ist aber jede Übersetzung immer auch eine Interpretation, daher ergeben sich zwangsläufig, zusätzlich zu dogmatischen Aspekten, Unterschiede im Verständnis der Hl. Schrift. Hinzu kamen damals die Probleme zwischen Judentum und Christentum. Beide Seiten beriefen sich auf die Hl. Schrift, die Christen auf die griechische, die Juden auf die hebräische Fassung. Und für die einen waren die Juden die Mörder des Heilands, für die anderen Jesus ein gehenkter Verbrecher. Schwer vorstellbar, wie man da zueinander finden sollte.
Mit der hebräischen Bibel hatten sich vor Luther anderthalb Jahrtausende lang ausschließlich jüdische Gelehrte beschäftigt, in dem Versuch, eine eindeutig verständliche Fassung dieses Textes herzustellen. Was für uns seltsam klingt, hat doch einen einfachen Grund. Im Hebräischen werden nur die Konsonanten, nicht die Vokale geschrieben, weswegen es nur für denjenigen lesbar ist, der es gut beherrscht. Jedoch existierte das Hebräische als lebende Sprache schon zur Zeit Jesu Geburt nicht mehr, nur noch in der schriftlichen Überlieferung. Stephen G. Burnett, der JB I am gründlichsten studiert hat, brachte in seinem Vortrag in Kamen im Jahre 2001 ein einleuchtendes Beispiel: „Wenn man z.B. die Konsonanten MTR ohne Vokale als deutsches Wort schreibt, könnte das «Motor», «Mieter» oder sogar «Mutter» sein. Aber welches Wort ist denn nun hier gemeint? Deshalb ist diese Frage von Vokalen von höchster Bedeutung für die Schriftauslegung.“
JBs I Bestreben war es in allem, „die Unversehrtheit und unbedingte Zuverlässigkeit des hebräischen Bibeltextes einschließlich der Vokalisation zu erweisen, die darum die Benutzung der Septuaginta und der Vulgata, auf die sich die Katholiken beriefen, unnötig mache.“
JBs I große Leistung bestand darin, daß er es schaffte, das ganze Material, das jüdische Gelehrte vor ihm erarbeitet hatten, zu sammeln, zu systematisieren und auf das philologisch-wissenschaftliche Niveau zu heben, auf dem sich die Darstellung der griechischen und der lateinischen Grammatik befand, es in die humanistische Tradition der europäischen Sprachwissenschaft zu stellen, die in der Renaissance entstanden war. Er erarbeitete eine neue Grammatik und ein neues Lexikon des Hebräischen und des Aramäischen, der Sprache Jesu. Diese Werke blieben jahrhundertelang für die wissenschaftliche Erforschung des AT von hoher Bedeutung. Er führte in ihrer Gesamtheit die Bibeltexte und die überlieferten jüdischen Auslegungen dieser Texte zusammen. Speziell diese Werke waren jahrhundertelang Standardwerke und wurden durch spätere Forschung kaum übertroffen. Sie sind hinsichtlich ihrer Vollständigkeit kaum wieder erreicht worden.
Frontispiz von Buxtorfs Lexicon Hebraicum et Chaldaicum
JBs I große Arbeiten lassen sich in drei Klassen einteilen. Erstens: Werke zur Grammatik und Lexik des hebräischen und aramäischen Sprachgebrauchs. Zweitens: Werke zum Bibeltext und seine rabbinischen Ausleger. Drittens: Werke zu den religiösen Aspekten des rabbinischen Judentums. JB I war der erste, der eine Bibliographie der jüdisch–hebräisch–rabbinisch–talmudischen Literatur erstellte, eine bahnbrechende Arbeit, für die er zu großen Teilen auf seine eigene, überragende Bibliothek zurückgreifen konnte.
Hier seine wichtigsten Werke: Manuale Hebraicum et Chaldaicum, 1602; Synagoga Judaica: das ist Juden-schul, 1603, seine einzige Veröffentlichung auf Deutsch;
Synagoga Judaica: das ist Juden-Schul
Praeceptiones Grammaticae de Lingua Hebraica, 1605, später unter dem Titel Epitome grammaticae Hebraicae noch viermal von Buxtorf selber und sechzehnmal von anderen herausgegeben; Lexicon Hebraicum et Chaldaicum, 1607; Thesaurus Grammaticus Linguae Sanctae Hebraicae, 1609; Concordantiae Bibliorum Hebraicae, die aber erst 1632 veröffentlicht wurden; er fing das große Lexicon chaldaicum, talmudicum et rabbinicum an, das erst sein Sohn JB II vollenden konnte, ein Werk in dem die Arbeit zweier Forscher über 30 Jahre hinweg steckt, 1639 (was besonders betont wird: OPUS XXX ANNORUM steht auf dem Frontispiz) .
Im Haus der Stadtgeschichte Kamen gibt es eine Ausgabe des „Lexicon chaldaicum, talmudicum et rabbinicum“, Sumptibis & typis Ludovici König, Basileæ; M DC XXXX.