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Kamens Alter Markt – seine Entwicklung

von Klaus Holzer

Der KKK lud zum 19. ZZ am 14. November 2024 ins Kamener Haus der Stadtgeschichte ein und nahm damit eine durch Corona unterbrochene Reihe an Vorträgen wieder auf. Unter dem Titel „Kamens Alter Markt – Photos aus 150 Jahren“ berichtete Ortsheimatpfleger Klaus Holzer über die Geschichte des Kamener Marktplatzes und seine Funktionen im Verlaufe eben dieser 150 Jahre.

Vorweg:

Markt ← mhd. market ← ahd. marcāt/as. markat ←spätlat. marcātus ← lat. mercatus = Kauf, das Ge–/Verkaufte

Geschäfte in unserem Sinne gab es im MA nicht, wohl aber Läden, d.i., einfache Bretter/Latten vor Fenstern, auf denen Waren zum Kauf angeboten wurden. Fensterladen!

Händler, die von Markt zu Markt reisten, hatten zum Schutz ihrer Ware ein Schutzdach = Kram über ihren Wagen gespannt, weil ihre Ware i.d.R. wertvoll war, z.B. aus dem Orienthandel stammte: Seide, Brokat, Barchent (Mischgewebe aus Baumwoll-Schuss auf Leinen-Kette) usw. Alltagsware brauchten sie nicht anzubieten, die wurde vor Ort hergestellt. Das Wort weitete sich auf den „Krämer“ aus. Diese reisenden Krämer kamen auf die Märkte.

Der Referent wies darauf hin, daß dieser Platz, im 14. Jh. angelegt, d.h., durch die entsprechende Bebauung mit Ackerbürgerhäusern definiert, für eine damalige Einwohnerzahl von ca. 1300 unverhältnismäßig groß ist. Selbst für die aktuelle Einwohnerzahl erscheint er recht groß. Aber über die Jahrhunderte hinweg war und blieb er der geographische und gesellschaftliche Mittelpunkt der Stadt.

Fester Bestandteil des Marktplatzes war von Anfang an das Rathaus, schon 1399 zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt. Es enthielt alle notwendigen Amtsräume: das Büro des Bürgermeisters, des Kämmerers, den Ratssaal, alle diese Ämter ehrenamtlich ausgeübt. Nur für die Ratsmitglieder gab es ein Fäßchen Bier (ca. 115 Liter) im Jahr. Daher kommt wohl die Tradition des deutschen Ratskellers? Das wichtigste Amt, das des Stadtsecretarius (Stadtschreiber und Notar), war das einzige bezahlte Amt. Durch ihre Lage war die Stadtverwaltung bürgernah im wörtlichen Sinne. Architektonisch fügte sich das Rathaus perfekt in die Reihe der den Platz umgebenden Ackerbürgerhäuser ein: ein Obergeschoß, mit Krüppelwalmdach, nur die Grundfläche war entsprechend den Anforderungen größer.

Abb. 1: Markttag mit Ausrufer 1868

Kamen hatte im Mittelalter (MA) ein eigenes Gericht, und die Bürger besaßen das privilegium de non evocando, d.h., sie durften in Strafsachen nur von einem Kamener Gericht verurteilt werden. Und obendrein sicherte Graf Adolf II von der Mark der Stadt Marktfreiheit zu: an beiden Jahrmärkten (zu Pfingsten und St. Severin = 23. Oktober) je eine Woche lang und an den drei Wochenmärkten je einen Tag lang. Das bedeutete: „Niemand durfte wegen einer Schuld ohne Verfehlung verpflichtet oder gepfändet werden, sogar nicht, wenn er gesetzlos oder geächtet sein sollte!“

Im 15. Jh. spielte die dynastische Entwicklung eine große Rolle für Kamen. Die Familie 

derer von der Mark starb aus, die Herrschaft ging an den Herzog von Kleve über. Als dieser Familie das gleiche widerfuhr, geriet das Herzogtum in Erbschaftsstreitereien. So landete Kamen 1609 beim Kurfürstentum Brandenburg. Die Brandenburger waren ehrgeizig und schafften es 1701, nach reichlichem Geldfluß (auf Deutsch: Bestechung) sich König in Preußen nennen zu dürfen. Als die Kamener  einen Tag später aufwachten, waren sie preußische Untertanen geworden.

Abb. 2: Sedansäule vor dem umgebauten Rathaus 1878/85

Preußen zentralisierte alles, Kamen verlor 1753 sein Gericht, jetzt war Unna zuständig. 1873 wurde die Zeche Monopol abgeteuft, Tausende von frisch im Süden und Osten Deutschlands angeheuerte Bergleute strömten in die in den 1550er Jahren protestantisch gewordene Stadt, die meisten von ihnen katholisch. Unausweichlich nahm die Zahl der Konflikte innerhalb der Stadt zu, Kamen erhielt sein Gericht zurück. 1878 zog es in das auf das Rathaus aufgesetzte 2. Obergeschoß ein. Doch schon 20 Jahre später bekam es sein eigenes Gebäude in der Bahnhofstraße. Heute befindet sich darin das Haus der Stadtgeschichte, vulgo das Museum.

Abb. 3: Feier zum Sedantag

1872 wurde eine 32 Meter hohe Sedansäule auf den Marktplatz gestellt, genau in den Kreuzungspunkt von Weerenstraße/Lämmergasse (heute: ?) und Weiße Straße/Kirchstraße, städtebaulich wohl durchdacht. Sie sollte an den Sieg in der Schlacht bei Sedan im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 erinnern, die entscheidende Schlacht des Krieges, die in den 18. Januar 1871 mündete: Der preußische König Wilhelm I wurde im Spiegelsaal von Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert. Damit repräsentierte die Säule ein wichtiges Stück deutscher Geschichte, wenn auch seinerzeit, nach unseren Maßstäben, durch Nationalismus befleckt. Leider faßte der Kamener Rat 1956 den Beschluß, das im II. WK beschädigte Denkmal abzureißen. Begründung: as Denkmal sei nur noch ein Torso (der auf der Säule thronende Adler, der seinen halb geöffneten Schnabel drohend nach Westen stieß, weil dort der „Erzfeind“ = Frankreich saß, war im Krieg heruntergefallen); es bilde keine Zierde für den Marktplatz; es stelle ein Verkehrshindernis dar (!). Damit wurde unwillentlich, sicher auch unwissentlich, der erste Schritt in Richtung „Kamen – die schnelle Stadt“ gemacht. Viel schwerwiegender ist die Entfernung dieser Säule allerdings in Hinsicht auf unsere Geschichte und Erinnerungs(un)kultur. Nur Kamener im hohen Alter können sich noch an diese Säule, und wofür sie stand, erinnern. Die jüngeren wissen nichts von ihr, haben wohl zumeist nichts von Sedan und seinen Folgen gehört: Das Erste Deutsche Reich wurde gegründet (lassen wir mal das Heilige Römische Reich Deutscher Nation außen vor), verschwand mit dem Ende des 1. WK; ihm folgte das Zweite Deutsche Reich, das nach nur 15 Jahren verschwand und durch das Dritte (Deutsche) Reich abgelöst wurde, das in zwölf Jahren eine tausendjährige Zerstörung anrichtete.

Mit dem Fall des Denkmals erlosch die Erinnerung. So verdrängt man Geschichte, die doch eigentlich immer als konstitutiv für nationale Identität beschworen wird. Vielleicht verdrängt man allerdings auch nur den Teil, den man nicht mag. Mahnmale aber gehören nun einmal in die Öffentlichkeit, zum Lernen, Wissen und Mahnen.

Abb. 4: Kirmes mit Kleinbahn UKW

Immer wieder, durch die Jahrhunderte, war der Marktplatz der Ort aller Art von Veranstaltungen: Märkte, Kirmessen, Beerdigungszüge gingen diagonal über ihn hinweg, soldatische Aufmärsche gab es und politische, Versammlungen zum 1. Mai, auch Hunderte Motorradfahrer versammelten sich an diesem Tage zur ersten gemeinsamen Ausfahrt im Frühjahr, hier wurden 1946 Carepakete entladen und verteilt, Ostermärsche führten über ihn, Bundeskanzler Ludwig Erhard sprach hier zu Tausenden Kamenern, Musiktage mit Volkstanzgruppen fanden hier statt, Sinfoniekonzerte, Frühlings-, Hanse-, Trödel- und Weihnachtsmärkte, heute zur Winterwelt säkularisiert. Und seit 2012 steht im Frühjahr einige Wochen lang ein Maibaum mittendrauf. Und eines darf nicht vergessen werden: Die 1873 abgeteufte Zeche Monopol zog viele Bergleute mit ihren Familien in die Stadt, damit entstand erstmals die Notwendigkeit eines ÖPNV. Die Kleinbahn Unna – Kamen – Werne, als Straßenbahn bekannt, fuhr gut 40 Jahre lang, von 1909 bis Ende 1950 diagonal über den Marktplatz. Von Anfang an elektrisch! Im Zeitalter der Dampfmaschine, der Dampflok! Wegen der gefährlichen Engstelle zwischen Rathaus und dem gegenüberliegenden Kolonialwarengeschäft Mertin wurden in das Rathaus die Arkaden eingebaut.

Eines ist über die lange Zeit zur Konstante geworden: Der Kamener Schützenverein feiert immer wieder sein Königspaar auf dem Markt, mit Polonäse und allem Drumherum, dessen die Schützen fähig sind. Doch auch das scheint allmählich zu viel Aufwand geworden zu sein, vielleicht aber auch nur ein weiteres Zeichen der allgemeinen Individualisierung der Gesellschaft heute.

Abb. 5: Treueste Marktnutzer: die Schützen

So gehörte der Marktplatz jahrhundertelang den Menschen, die in Kamen wohnten und arbeiteten, Bürger, Handwerker, Ackerbürger und Arbeiter. Dann kamen die 1960er Jahre und alles änderte sich. Ab ca. 1965 gab es den großen Bruch in der Tradition des Marktplatzes, den Bruch, der sich schon 1956 abzeichnete, als die Sedansäule als „Verkehrshindernis“ betrachtet wurde und sie deshalb abgebrochen wurde. Damit einher ging der Abriß etlicher „ansehnlicher alter Fachwerkhäuser“ (Klaus Goehrke) und die Flächensanierung der Nordstadt. Flächensanierung ist natürlich ein Euphemismus: Wenn man „saniert“, ist das etwas Gutes, wenn man „abreißt“, klingt das gleich nach Wahrheit, und die verschreckt. Kurz: Kamen entschied sich gegen „erhalten“ und für „erneuern“. 

Nicht alles, was neu gemacht wurde, war freiwilliges, geplantes Handeln. In Weltkrieg II waren einige Häuser auf der Westseite des Platzes zerstört worden. Die Lücken wurden erst in der zweiten Hälfte  der 1950er Jahre geschlossen, jedoch im neuen Kastenstil, d.h., ohne Stil, ohne Rücksicht auf die vorhandene Altbebauung mit Fachwerkhäusern. 

Abb. 6: Verabschiedung von Pastor Philips, im Hintergrund  zu erkennen: Kriegsschäden

Die Entwicklung brachte auf der Südseite die Verbreiterung der Lämmergasse mit sich, das Haus Markt 5 fiel, heute läuft der Verkehr mehrspurig zwischen Parkplatz und Marktplatz, und auf der Nordwestseite wurde das wunderschöne Fachwerkhaus des Bäckers von der Heyde mit der großen Brezel über dem ersten Obergeschoß der Verbreiterung eines schmalen Weges zur Marktstraße geopfert. Der frühere Schützenplatz wurde zum Neumarkt (seit 1993 Willy-Brandt-Platz), was auch die Bezeichnung „alter“ Markt damals rechtfertigte. 

Abb. 7: Die neue städtische Herrlichkeit: Waschbeton überall

Diese Neuausrichtung wurde dem Zeitgeist entsprechend gestaltet. Waschbeton wurde das vorherrschende Material. Mäuerchen, Bänke, Vitrinen, Blumenkästen, Fassaden – alles aus Waschbeton. „Wer mit dem Zeitgeist verheiratet ist, ist bald Witwe.“ (Kierkegard, dänischer Philosoph). Kamen war nach 25 Jahren schon Witwe.

Jetzt verlor der Marktplatz seine Funktion und sein Gesicht: ein Einbahnstraßensystem umrundete ihn, die Mitte wurde von zwei Straße durchschnitten, die als Zufahrten zu vier Reihen von Parkplätzen dienten. Kamen war die „schnelle Stadt“ geworden, der Marktplatz den Bürgern genommen. Überall wo Altes verschwand, wurde Platz gemacht für das neue Lieblingskind der Kamener, das Auto, meistens ein Käfer. Besonders abstrus: In der Weststraße, damals voller inhabergeführter Läden, durften zwar Autos fahren, nicht aber Motorräder und, jetzt kommt’s, auch keine Fahrräder!

Abb. 8: Die „gute Stube“ der Stadt: ein Parkplatz

Photos noch aus den 1970er Jahren belegen noch etwas anderes. Wie reich war die Auswahl an lokalen Tageszeitungen im Vergleich zu heute, alle Redaktionen am Markt: Da gab es die Westfalenpost, die Ruhrnachrichten, die Westfälische Rundschau, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung und den Hellweger Anzeiger, heute nur noch den HA und die WR, zwei fast identische Zeitungen, weil von einem Verlag, einer Redaktion betrieben.

Abb. 9: Ein Umdenken hat eingesetzt: die Autos sind vom Markt soweit wie möglich verbannt

Erst um 1990 setzt ein Umdenken ein. Der Markt wird erneut umgestaltet – Kierkegard hat recht – die Straßen werden entfernt, bis auf die auf der Südseite, ohne geht’s eben nicht, der Platz den

Bürgern der Stadt zurückgegeben. Städtisches Grün fehlt noch, umfangreiche Außengastronomie, zuvor kaum möglich, hat sich aber etabliert, wird angenommen, im Sommer mit Maibaum, einladend zum Verweilen, nicht mehr für Autos reserviert, gibt es fast mediterrane Atmosphäre: Sitzen im Freien, bei einem Bier, einem Wein, gutem Essen läßt sich gut sitzen und plaudern. 

Abb. 10: Der Markt ist den Kamenern zurückgegeben

Ein Blick von oben auf den Kamener Marktplatz verdeutlicht, daß trotz aller Veränderungen, immer wieder zum Schlechteren, Kamen immer noch eine ansehnliche Stadtmitte hat. An die Stadtverwaltung richtet sich die Aufforderung, eine Denkmalbereichssatzung zu beschließen, die ein städtisches Ensemble von Häusern unter Denkmalschutz stellt, auch wenn einzelne Häuser nicht darunterfallen. Unsere Altstadt darf ihr Gesicht nicht verlieren, ihr Gesicht, das sind ihre Häuser, damit Stadtführungen nicht in Zukunft anfangen müssen: Es war einmal eine Stadt an der Seseke, die …

KH

Historische Photos:

Stadtarchiv, Archiv Walter Christoph & Archiv  Klaus Holzer

Photo Nr 10: Stefan Milk

„Durchbruch“, von Tassilo Sturm: Eine Ergänzung

 

Seit 2016 steht auf der Seite des KKK die vollständige Aufstellung aller Kunstwerke im öffentlichen Raum in Kamen. Das war seinerzeit gewissermaßen eine Pioniertat, gab es so etwas doch nicht bei ihrem Eigentümer, der Stadt Kamen. Viele dieser Kunstwerke wurden im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscherpark aufgestellt. Dazu gehört u.a. auch das Werk „Durchbruch“ von Tassilo Sturm, das seit 1999 auf der Wiese an der Ecke Perthesstraße – Dortmunder Allee in Südkamen steht. 

Das Original-Kunstwerk besteht aus rohem Cortenstahl, den nach kurzer Zeit ein schützender und höchst dekorativer Rostmantel umgibt. Offenbar wurde dieser Rost von einigen Unbekannten mißverstanden, die meinten, ihre eigenen Vorstellungen am Kunstwerk verwirklichen zu müssen und es in den Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold mit dem Wappenadler anstrichen. Um es ganz klar zu sagen: Bei einer solchen Tat handelt es sich um eine Straftat, Urheberrechtsverletzung und Sachbeschädigung. Leider hat die Eigentümerin diese Straftat nicht verfolgt.

Jetzt wandte sich der Künstler an den KKK und bat darum, klarzustellen, daß diese Bemalung eine Verunstaltung und nicht in seinem Sinne sei. Diesem Wunsch kommt der KKK gern nach, verfügt aber über kein Photo, das den Originalzustand zeigt. Sollte ein Leser dieser Zeilen über ein solches verfügen, wird er herzlich gebeten, es dem KKK zur Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen.

Das im Augenblick einzig Tröstliche: Die Farbe blättert ab, der originale Rost kommt allmählich wieder zum Vorschein.

KH

Leben und Sterben in Kamen II

Teil II: Sterben

von Klaus Holzer

Friedhöfe und Beerdigungswesen in Kamen

Das Leben sagt immer zugleich: Ja und Nein.
Er, der Tod, ist der eigentliche Ja-Sager. Er sagt nur: Ja. 

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

Wo es Leben gibt, ist der Tod nicht weit. Geboren und gestorben wird immer. Man muß sich also Gedanken machen, wie man mit solchen, immer wiederkehrenden Ereignissen umgeht: Geburt, Heirat, Tod. Und so bleibt es natürlich nicht aus, daß sich allmählich Rituale herausbilden, die auf die immer gleichen Vorgänge anzuwenden sind. Was macht man mit den Toten? Die einem, als sie noch lebten, lieb und teuer waren? Oder denen man in herzlicher Feindschaft verbunden war? An die man sich erinnern möchte? Oder auch nicht? Egal wie, hier helfen Rituale, sie geben Halt und Sicherheit in ungewissen, schwierigen Situationen. Gibt es ein Leben nach dem Tode, einen Ort, an dem man sich eines Tages wiedersehen wird? Wohin also mit ihnen?

Abb. 1: Friedhofsengel

Im Mittelalter (MA, ma) war der Mensch sehr gottgläubig, der christliche Glaube bestimmte sein Leben von der Wiege bis ins Grab, bestimmte den ganzen Tages- und Jahresablauf, selbst der Tageskalender trug nur die Namen von Heiligen. Beispiele aus Kamen: Der Kamener Bürgermeister wurde im MA immer an Petri Stuhlfeier gewählt: dem 22. Februar;  Severinstag: St. Severin war der Kamener Schutzpatron, dem auch die erste große Kamener Kirche geweiht war, sein Tag ist der 23. Oktober. Leben und Sterben in Kamen II weiterlesen

Leben und Sterben in Kamen I

von Klaus Holzer

Teil I: Leben in Kamen

Die Anfänge – Historisches

Am Anfang gab es zwei Arten von Kamenern, Bürger und bloße Einwohner, auch Beisassen genannt, meist Tagelöhner. Erstere hatten Eigentum und das Bürgerrecht und waren Handwerker und Ackerbürger. Nicht jeder konnte Bürger sein: er mußte eine Gebühr von 2 – 5 Talern an die Stadt bezahlen, je nach Vermögen; er mußte ein Handwerk ausüben, das seine Familie ernähren konnte; er mußte Steuern und Abgaben bezahlen; er mußte sein Teil zur Verteidigung der Stadt beitragen; er mußte einen ledernen Eimer bei der Feuerwache im Rathaus abgeben und bei (den damals häufigen) Bränden beim Löschen kräftig mithelfen; er mußte, und das war besonders wichtig, den Bürgereid leisten. 

Exkurs 1: Ich zitiere diesen Eid hier vollständig, weil er bezeichnend ist für die Verpflichtung, die der Bürger im MA im Verhältnis zu seiner Stadt, seiner Heimat, einging, wie das private Wohlergehen mit dem Gemeinwohl verbunden war: 

„Ich, … gelobe und schwöre einen Eid zu Gott, daß ich Seiner Kurfürstlichen Durch- laucht, Herrn … Kurfürsten von Brandenburg (Anm: Dieser Wortlaut galt also zwischen 1609 = Kamen wird brandenburgisch und 1701 = Brandenburg wird Preußen) usw., auch Herren Bürgermeistern und Rat dieser Stadt in allen Sachen treu und hold, auch gehorsam sein, ihr Gebot und Verbot nicht verachten, Ihrer Kurfürstlichen Durchlaucht dem Herrn usw. und dieser Stadt Bestes mit äußerstem Vermögen vorstellen, das Aergste und Widerwärtige abwenden und verhüten helfen, und da ich etwas hören oder vernehmen würde, daß hochgemeldeter Ihrer Kurfürstlichen Durchlaucht ins Haupt, auch Bürgermeistern und Rat hierselbst, und gemeiner Stadt zur Verkleinerung oder nachteiligen Part gereichen thäte, dasselbe nicht verschweigen, sondern an behörenden Orten anbringen; da ich aber zu anderen dergleichen Zusammenkünften gefordert, daselbsten zu keiner Unruhe, sondern zu allem friedfertigen Wesen, Ursach und Anlaß geben; Leben und Sterben in Kamen I weiterlesen

Die Severinskirmes in Kamen

von Klaus Holzer

Sim-Jü ist in unserer Region jedermann ein Begriff, und auf die betreffende Frage gibt es nur eine Antwort: „Die älteste Kirmes, das älteste Volksfest in der Gegend ist Sim-Jü.“ Die Stadt Werne ist etwas zurückhaltender und nennt Sim-Jü „das größte Volksfest an der Lippe, das seit der Verleihung des Marktrechtes im Jahr 1362 gefeiert“ wird. Sein Name leitet sich vom Tag Simon und Juda her, dem 28. Oktober, der immer für das Datum des Festes maßgeblich war. 

Viel weniger bekannt ist die Kamener Severinskirmes, vielleicht weil sie weniger Kontinuität aufzuweisen hat? Weniger beworben wird? Weniger traditionelle Elemente wie z.B. einen Viehmarkt aufzuweisen hat? Aber ein Blick in die Geschichte, genauer in eine Urkunde im Kamener Stadtarchiv, zeigt: die Severinskirmes ist älter als Sim-Jü, wie der frühere Kamener Stadtarchivar Hans-Jürgen Kistner 1996 herausfand. Ob sie freilich durchgängig stattfand, ist fraglich. Camen war im Mittelalter (MA) lange Zeit die zweitwichtigste Stadt in der Grafschaft Mark, wurde dann aber durch Stadtbrände (insgesamt 11, der letzte 1712) und Kriege (vor allem den Dreißigjährigen Krieg) und durchziehende Söldner aus vielen Nationen schwer getroffen. Sie forderten Kontributionen und plünderten, die Stadt und ihre Bürger verarmten. Besonders aber wütete die Pest in der kleinen Stadt. Das erste Mal trat sie bereits im Jahr 1580 auf. Und in den sowieso schon schweren Kriegsjahren zwischen 1618 und 1648 wütete die Pest 1624/25/26 und 1636 und forderte mehr als die Hälfte der Einwohner. Es ist kaum vorstellbar, daß unter solchen Umständen Kirmessen stattfanden.

Abb. 1: Urkunde vom 4. Juli 1346

Im Kamener Stadtarchiv gibt es eine Urkunde vom 4. Juli 1346, in welcher es in der Übersetzung aus dem Lateinischen von Ruth Merschmann und Hartmut Höfermann, früher am Städt. Neusprachlichen Gymnasium Kamen, bei Theo Simon veröffentlicht, Lehrer ebendort, heißt: „Ebenso haben wir zwei Jahrmärkte gewährt, einen zu Pfingsten, den anderen am Tage des seligen Severin (Anm.: 23. Oktober), des Schutzpatrons ihrer Kirche, und zwar in der Weise, daß niemand an diesem und den drei unmittelbar vorangehenden und folgenden Tagen (Anm.: Dauer also eine Woche!) wegen einer Schuld ohne Verfehlung verpflichtet oder gepfändet werden darf, sogar nicht, wenn er gesetzlos oder geächtet sein sollte. Ebenso haben wir beschlossen, daß drei Wochenmärkte, am Sonntag und am Montag und Donnerstag, mit derselben Freiheit wie die gewährten Jahrmärkte zu halten sind.“ Die Severinskirmes in Kamen weiterlesen

Kamener Köpfe: Dr. Walter Elger

von Klaus Holzer

Dr. Walter Elger, geb. 25. Dez. 1938

Abb. 1: Dr. Walter Elger, geb am 25. Dezember 1938 in Kamen

Exkurs 1: Als Thomas Robert Malthus (14. oder 17. Feb. 1766 – 23. Dez. 1834) im Jahre 1798 seinen „Versuch über das Bevölkerungsgesetz“ formulierte, wonach die Bevölkerungsgröße durch die verfügbare Nahrungsmittelmenge begrenzt und bestimmt sei, waren seine Grundannahmen zwar falsch, doch hatte er ein Problem erkannt, das bis heute im Kern nicht gelöst ist. Er postulierte, die Bevölkerung wachse in geometrischer Progression, also in gleichbleibenden Wachstumsraten bei immer größeren absoluten Werten, die Nahrungsmittelproduktion dagegen in arithmetischer Progression, also mit gleichbleibenden absoluten Zuwächsen. Daher reiche die Erde irgendwann nicht mehr aus, alle Menschen zu ernähren. Hunger führe zwar zu erhöhter Sterblichkeit, doch sei sexuelle Enthaltsamkeit zusätzlich vonnöten. Auf dieser Grundlage kam es bereits im 19. Jh. in den USA zu ersten Überlegungen von Geburtenkontrolle. Daß Malthus damit die Menschen insgesamt überforderte, ahnte er möglicherweise schon, doch gab es zu seiner Zeit eben noch keine anderen Möglichkeiten. Kamener Köpfe: Dr. Walter Elger weiterlesen

Das 17. Zeitzeichen des KKK: Helden

Teil 1: Dr. Heinrich-Wilhelm Drexhage – Fiktive Helden

Mit der Erfindung der Keilschrift beginnt die Zeit der schriftlichen Überlieferung und damit auch der Literatur. Die erste uns bekannte lange altbabylonische Erzählung ist die über Gilgamesch, den sagenhaften König von Uruk. Dieses Epos beschreibt seine außergewöhnlichen Taten und sein Suchen nach einem Wunderkraut, das ihm ewige Jugend bescheren soll. Als er es durch eigene Unachtsamkeit verliert, findet er sich mit seiner Sterblichkeit ab und reift als Persönlichkeit.

Abb. 1: Gilgamesch

Die Themen sind: Macht und Machtmißbrauch; Liebe und Freundschaft; Heldentum und menschliche Schwäche; das Verhältnis von Mensch und Gottheit. Das 17. Zeitzeichen des KKK: Helden weiterlesen

100 Jahre Dammbruch an der Seseke

von Klaus Holzer

Wir haben uns daran gewöhnt, wir kennen es gar nicht mehr anders: es mag regnen, soviel es will, die Seseke bleibt in ihrem Bett. Seit 2008 ist sie renaturiert, und trotz der immensen Kosten von 500 Mill. Euro ist der Umbau jeden Pfennig wert. Kein Wasser mehr im Keller, viele Kilometer Wander- und Radwege.

Abb. 1: Der Dammbruch vom 2. Februar 1923

Das war aber nicht immer so. Am 2. Februar vor genau 100 Jahren schaffte es dieses Flüßchen, zu einem reißenden Strom zu werden, der alles mitriß, was sich ihm in den Weg stellte.  Aber der Reihe nach. 100 Jahre Dammbruch an der Seseke weiterlesen

Juden in Kamen

von Klaus Holzer

Vorbemerkung:

Der Anlaß für diesen Artikel ist das 120-jährige Jubiläum der Einweihung der neuen Kamener Synagoge am 15./16. November 2021.

Abriß der Geschichte der Juden in Kamen.

Historisches

Juden gibt es in Kamen nachweislich seit 1348. In diesem Jahr stellte Graf Engelbert III (1347 – 1391) einem Juden namens Samuel einen Schutzbrief auf sieben Jahre aus, in dem er ihm dieselben Rechte gibt, „wie sie unsere anderen Juden in Hamm, Unna und Kamen haben“. Solch ein Schutzbrief wurde immer nur für eine bestimmte Anzahl von Jahren ausgestellt, und die auferlegte Gebühr war jedes Jahr neu zu entrichten. Daß Juden überhaupt eines Schutzbriefes bedurften, zeigt deutlich, wie prekär ihr sozialer Status war. Sie galten als „Wucherjuden“, da sie oft als Geldverleiher auftraten (im MA waren Wucher und Zins synonym, ein Geldverleiher verlangte natürlich Zinsen) und, weil Kapital knapp war, hohe Zinsen verlangten, wie auch ihre christlichen Konkurrenten, die aber nicht den Nachteil hatten, als „Christusmörder“ zu gelten. Und 1403 erteilte der römisch-deutsche König Ruprecht von der Pfalz (1352 – 1410; ab 1400 König) einem Juden in Kamen freies Geleit. Juden in Kamen weiterlesen

Flurnamen: Malter – Scheffel


von Klaus Holzer

Abb. 1: Straßenschild

„Malter“ und „Scheffel“ sind sicherlich zwei Wörter, die einmal zum täglichen Sprachgebrauch der Ackerbürger und natürlich auch der Bauern in unserer kleinen Ackerbürgerstadt gehörten. Und bestimmt gebrauchten unsere Vorfahren sie noch lange, nachdem 1799 das Dezimalsystem in Paris deklariert wurde, zunächst der Meter, dann alle anderen Maße, Fläche und Hohlmaße, die dann offiziell seit den 1890er Jahren auch in Deutschland galten. (Und wie lange wird es wohl noch dauern, bis auch das letzte alltäglich gebrauchte nicht-metrische Maß aus unserem Sprachgebrauch verschwunden sein wird: viertel, halbes, dreiviertel Pfund? Und im landwirtschaftlichen Bereich mag es auch noch eine Zeitlang den „Morgen“ geben.) Flurnamen: Malter – Scheffel weiterlesen