Flurnamen: Bleiche

von Klaus Holzer

Abb. 1: Straßenschild

In östlicher Richtung von der Ostenallee abzweigend, gibt es seit 1975 die Straße „Bleiche“. Dieser Name hat es von einer Funktionsbezeichnung zum Flurnamen geschafft.

Eine „Bleiche“ genannte Fläche diente ursprünglich dem Bleichen frisch gewaschenen Leinens  wie auch des neu gesponnenen Leinentuches. Es handelte sich dabei um ein in der Nähe der Wohnbebauung liegendes Stück Grünland, das in der Regel an einem Fließgewässer lag, damit das Leinen immer feucht gehalten werden konnte. Je länger es der prallen Sonne ausgesetzt war, umso weißer, und damit umso wertvoller, wurde es. Das abgestandene und daher oft schmutzige Wasser von Teichen, Tümpeln und Stadtgräben war zu diesem Zweck ungeeignet. Nur selten legte man ein solches künstliches Gewässer an, das dann besonders tief ausgehoben und sorgsam gepflegt wurde.

Leinen war gefragte, aber auch teure Ware, es gehörte zur Aussteuer aller jungen Mädchen, deren Familien es sich leisten konnten. Diese Leute waren „betucht“. Und weil es so wertvoll war, war es auf der Bleiche ständig in Gefahr, gestohlen zu werden. Und weil die Bleiche gewöhnlich auf Grünland war, also auf Wiese und Weide, wo natürlich auch Vieh in der Nähe weidete, bestand immer die Möglichkeit, daß das Vieh auf die Bleiche geriet und das Leinen beschmutzte oder gar beschädigte. Daher standen am Rande einer Bleiche oft Bleichhütten, in denen sich Wächter aufhalten konnten. Oft wurde die Bleiche auch wie ein Garten eingezäunt. Ob das in Kamen der Fall war, ist nicht bekannt.

Abb. 1: Frauen beim Spülen der Wäsche am Mühlenkolk¹; im Hintergrund die Wiesen auf dem Gelände des heutigen Amtsgerichts (s. Abb. 3)

In Kamen gab es wohl mehr als eine Bleiche, waren die Leineweber doch eines der zwei  am stärksten ausgeübten Handwerke: im Jahre 1722 gab es in Kamen 44 Leineweber, dicht gefolgt von 38 Schustern. Neben der Bleiche im Osten der Stadt, nahe der Seseke und mehreren Flußaltarmen, etwa dort, wo 1843 Kamens erste Badeanstalt war (vgl.a. Artikel Ostenallee/Ostkamp/Bleiche), gab es, das ist belegt, mindestens eine zweite, dort, wo heute das Amtsgericht an der Poststraße steht. Hier standen die Seseke und der Mühlenkolk zum Ausspülen und Feuchthalten des Leinens zur Verfügung, und der Weg aus der Stadt zur Bleiche war sehr kurz.

Abb. 2: Photo der Bleiche am Amtsgericht; das Gebäude links ist die Kamener Mühle, zuletzt Mühle Ruckebier

Eine Besonderheit berichteten alte Kamenser über  die Situation hier. Damals zogen viele Zigeuner, wie es damals hieß, über Land. Sie standen generell in dem Ruf, Diebstählen nicht abgeneigt zu sein. Die Kamener Leineweber handelten also ganz schlau, als sie Zigeuner zur Bewachung ihres Leinens auf der Bleiche einstellten. Es soll kaum etwas abhanden gekommen sein.

KH

Abbildungen: Nr. 1: Photo Klaus Holzer; Nr. 2 & 3: Archiv Klaus Holzer

 

¹Kolk = Strudel im Wasser, Höhlung am Flußufer; auch afries. Grube, Loch, Wasserloch; verw. mit „Kehle“, architekt. „Hohlkehle“): hier der künstlich angelegte Teich zum Ausgleich von Hoch- und Niedrigwasser