von Klaus Holzer
Sie wissen, daß es eine Mühlenstraße in Westick gibt? Aber Sie wissen nicht, daß es auch in Kamen-Mitte (damals noch ohne „Mitte“) eine Mühlenstraße gab? Kein Wunder, gibt es sie doch seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. nicht mehr. Es handelt sich bei ihr um das obere Stück der Bahnhofstraße, vom Markt bis zur Maibrücke. Sie führte also vom Mittelpunkt der Ackerbürgerstadt zu einem der wichtigsten Handwerke einer jeden mittelalterlichen Stadt: dem Müller. Eike von Repgow legt in seinem ca. 1220/30 entstandenen „Sachsenspiegel“ dar, für wie wichtig Mühlen damals gehalten wurden. Daraus ging klar hervor: Auf Mord, Beraubung einer Kirche, einer Mühle oder eines Friedhofs steht die Strafe des Räderns! Das war die schlimmste vorstellbare Strafe. Ausrauben einer Mühle wurde mit Mord, Schändung von Kirche und Friedhof gleichgestellt!
In dieser Abbildung ist übrigens die Ähnlichkeit des Mühlrades mit dem Kammrad im Kamener Stadtwappen, das aus derselben Zeit stammt, frappierend.
Abb. 1: Eike von Repgow, Sachsenspiegel
Die Mühlenstraße war Teil des wichtigen Straßenkreuzes in Kamen, Ost–, Nord–, Weststraße, dazu Am Geist, die Diagonale über den Markt, und die Fortführung nach Süden zum Hellweg über die Mühlenstraße. Sie führte als einzige Straße über die Seseke und war durch ihre Lage und Bedeutung wohl die am stärksten frequentierte Straße. Dreimal in der Woche war in Kamen Markt, zweimal für je eine Woche Jahrmarkt, von Graf Adolf I., Grafen von der Mark, der zwischen 1249 und 1277 regierte, zugestanden und von Graf Adolf II am 4. Juli 1346 bestätigt. Dann strömten Händler, Gaukler und Bauern in die Stadt, um Geschäfte zu machen, die Kamener mit allem zu versorgen, was sie nicht selber herstellen konnten, sie zu unterhalten und natürlich auch mit den neuesten Nachrichten aus aller Welt zu versorgen.
Abb. 2 – 4: Kaufleute, Gaukler und Bauern hatten alle ihren festen Platz in der Stadt
Die Brücke muß man sich bis gegen Ende des 18. Jh. als einfache Holzbrücke vorstellen, die jedoch den damaligen Ansprüchen wohl genügte, schließlich waren auch die Fuhrwerke der Händler meist recht bescheidene Fahrzeuge, deren Last nicht sehr hoch war. Pferde mußten sie bei jedem Wetter über unbefestigte Straßen ziehen können, die beim leichtesten Regen zu Schlammlöchern wurden.
Abb. 5: Ein Wagen, wie ihn die Hansekaufleute benutzt haben
Preußen hatte 1717 die Akzise wieder eingeführt, eine Steuer auf Waren, die beim Eintritt in eine Stadt zu entrichten war. Das machte man nun in jeder Stadt, überall hatten Händler diese Steuer zu entrichten, was die Geschäfte beträchtlich behinderte. Schon damals taten sie daher etwas, was auch heute noch Usus ist: sie schlugen die Kosten der Akzise auf den Preis auf (heute ist das die MWSt). Schließlich erkannten die preußischen Behörden das Problem und schafften die Steuer gegen Ende des Jahrhunderts wieder ab.
Das scheint zu einem Anwachsen des Handels geführt zu haben, vielleicht auch zu größeren Fuhrwerken. Wie auch immer, es fällt auf, daß die Stadt Kamen zur selben Zeit, 1797, die Notwendigkeit erkennt, die „Homeybrücke“1 zu erneuern, und nicht nur wieder eine Holzbrücke, sondern jetzt eine richtige Steinbrücke zu bauen.
Aber Kamen ist arm, der Glanz und Reichtum der Hansezeit sind lange dahin. Man tat das, was ebenfalls auch heute noch üblich ist: man nimmt Darlehen auf. Aber es gibt noch keine Sparkassen und Banken. Man muß sich das Geld bei reichen Bürgern leihen.
Hier eine Aufstellung dieser Darlehen:
10. Juni 1797, 500 Reichsthaler von Doktor Proebsting2, städt. Einnahmen als Pfand,
10. Juni 1797, 500 Reichsthaler von Prediger Hecking in Bönen, städt. Einnahmen als Pfand,
10. Juli 1798, 395 Reichsthaler von Stadtkämmerer Rediger, städt. Einnahmen als Pfand,
10. Juli 1798, 200 Reichsthaler vom Armenhospital in Kamen, städt. Einnahmen als Pfand, 14 Tage später von der Kriegs- und Domänenkammer in Hamm3 genehmigt. Insgesamt lieh sich die Stadt also 1595 Reichsthaler.4
Die zwei Darlehen vom Juni 1797 sind ausdrücklich zur Bezahlung der Kosten für die neue Steinbrücke über die Seseke gedacht, die beiden von 1798 ebenfalls für die Steinbrücke, doch auch, und das ist bemerkenswert, für das Straßenpflaster. 1798 wird die Mühlenstraße als erste Straße in Kamen mit einem Steinpflaster versehen!
Es dauerte lange, bis Kamen diese vier Darlehen getilgt hatte. Das an Hecking war am 15. November 1825 getilgt, das Rediger-Darlehen am 2. Dezember 1829, das des Armenhospitals am 9. Juli 1838. Von der Tilgung des Darlehens von Dr. Proebsting ist in diesen Urkunden nichts zu finden.
Im Vergleich zu der Gewaltleistung, die der Bau der Stadtmauer bedeutete, waren der Bau der Brücke und die Pflasterung der Straße sicherlich leicht zu bewältigen5. Spätestens Anfang des neuen Jahrhunderts dürfte beides fertig gewesen sein. Bis 1923 war diese Brücke die einzige Straßenbrücke in Kamen. Sogar die Kleinbahn UKW6 hat sie noch erlebt. Dann aber war sie unrettbar beschädigt. Sie mußte abgerissen und eine neue gebaut werden.
Abb. 6: Die alte Maibrücke, 1985
2001 wurde sie saniert und vom motorisierten Verkehr befreit. Heute ist sie Bestandteil des neuen Sesekparks, der im Jahre 2018 der Kamener Bevölkerung übergeben wurde.
Abb. 7: Die neue Maibrücke
Quelle der Abbildungen:
Abb. 1: aus: Aufruhr 1225! Das Mittelalter an Rhein und Ruhr, Darmstadt 2010; das Mühlenrad (oben) auf einer Darstellung im Sachsenspiegel des Eike von Repgow aus den 1220/30er Jahren, wie es auch im Kamener Stadtwappen zu sehen ist.
Abb. 2: Bernd Fuhrmann, Die Stadt im Mittelalter, Stuttgart 2006, S. 57
Abb. 3: Bernd Fuhrmann, Die Stadt im Mittelalter, Stuttgart 2006, S. 27
Abb. 4: Stadtarchiv Kamen
Abb. 5: Archiv Klaus Holzer
Abb. 6: Wikipedia
Abb. 7: Photo Klaus Holzer
1 Zur Erklärung des Namens vgl. Artikel „Maibrücke“
2 Wahrscheinlich Dr. med. Philipp Ludwig Pröbsting, geb. 26. Mai 1735, gest. 23. April 1812, der Großvater des bekannten Stadtchronisten.
3 Die Reichs- und Domänenkammern wurden in Preußen 1723 als Provinzialbehörden eingeführt, ab 1815 in die preußischen Bezirksregierungen umgewandelt.
4 Auch wenn heute nicht mehr sinnvoll erschlossen werden kann, wieviel diese Summe seinerzeit wirklich bedeutete, wird aber im Verhältnis ersichtlich, was für eine gewaltige Summe das war, wenn man einmal die Zahlen für einen städtischen Haushalt damit vergleicht. Pröbsting führt in seiner Kamener Stadtgeschichte detailliert auf, wie die Zahlen für 1702 sind: Einnahmen – 867 Thaler, 45 Stüber; Ausgaben: 963 Thaler, 9 Stüber; das ergibt einen Negativsaldo von 96 Thalern, 4 Stübern! Auch wenn die Zahlen fast 100 Jahre später vielleicht etwas andere sind, die prekäre Situation wird deutlich. Versuch der Annäherung des Wertes des Reichsthalers um jene Zeit: 1818 erhielt ein Schullehrer, der gleichzeitig Organist und Küster war, 100 Reichsthaler im Jahr.
5 vgl.a.Artikel „Mühlentorweg“
6 So hieß die Straßenbahn, die von 1909 bis 1950 zwischen Unna, Kamen und Werne verkehrte.
KH