Edelkirchenhof

von Klaus Holzer, unter Verwendung von Informationen von Edith Sujatta und Martin Litzinger

Es handelt sich hier um ein weitläufiges Gelände, das ursprünglich aus mehreren Burgmannshöfen bestand.

Hering- oder Haringhof

Der Hering- oder Haringhof, später Edelkirchenhof, östlich des Westentores, nördlich der Weststraße gelegen, war ursprünglich ein märkisches Lehnsgut, dessen Aufgabe es war, das Westentor zu bewachen. Er wurde Anfang des 14. Jh. erbaut. Von 1368 bis 1700 wurde er durch die Familie von Freisendorf, ab 1462 durch die Familie von Edelkirchen bewirtschaftet. Um 1900 gehörte es Abraham Jacobi, einem jüdischen Viehhändler aus der Weststraße. 1912 wurde das Haus abgerissen. Danach wurde das Gelände als Viehweide genutzt.  Auf dem Gelände des jetzigen Parks stand früher die Burg. Beim Neubau eines Hauses in den zwanziger Jahren fand man dort noch Reste der alten Burgmauer. Vorgänger der heutigen Anlage war ein 1926 nach geometrischen Mustern angelegter Park.

Abb. 1: Die geometrische Anlage des Edelkirchenhofs 1926

Bei dieser Gelegenheit entstand eine neue Parallelstraße zur Kämerstraße – die Straße „Am Reckhof“, zusammen mit der Einweihung des Edelkirchenhofs am 13.12.1925.

Abb. 2.: Der Haringhof und der Palandsche Hof mit jeweils großem Freigelände im Nordwesten Kamens; der rote Punkt markiert die Stelle, an der wahrscheinlich Rosa Luxemburg ihre Rede hielt

Palandscher Hof, Reckhof, auch Reck-Palandscher Hof 

Der Reckhof, auch Reck-Palandscher Hof, schloß direkt östlich an den Haringhof an und lag westlich der Kämerstraße/Ecke Westenmauer. Er diente dem Schutz des Kämertores.

Die Burg wurde Anfang des 14. Jh. gebaut. 1925 erwarb die Stadt sie und ließ sie abreißen.

Abb. 3.:  Blick in die neue Buxtorfstraße

In diesen Hof zogen die von der Reckes 1250 nach ihrem Auszug aus der Grafenburg ein, nachdem diese von Engelbert I., Graf von der Mark, übernommen worden war.

Es gehörte der Familie von der Reck zur Horst, die es um 1462 an die von Paland verkaufte. Um 1840 wurde das gesamte zugehörige Gelände Weideland. Um 1840 gehörte das Land einem Gerhard von Weeren (eigentlich „Werne“), dann Bleckmann, anschließend Alexander Koepe, der es als Viehweide nutzte. Er hatte einen direkten Zugang dazu, da sein Bauernhof dort lag, wo heute, 2017, T€di seinen Laden hat. Dahinter gab es zu der Zeit noch keine Wohnbebauung. Der Edelkirchenhof war also Viehweide.

Es ist übrigens interessant, wie die genannten drei Familien zusammenhängen, beweist es doch, was für geschlossene Gesellschaften kleine Städte damals waren. Eine Tochter des Gerhard von Weeren (der sein „von“ unter Napoleon eigentlich verloren hatte; der Name ist noch erhalten in der Weerenstraße, der kleinen Verbindungsstraße zwischen Markt und Weststraße) heiratete den Lehrer und Kantor Bleckmann, dessen Tochter Anna 1878 den Wilhelm Alexander Koepe heiratete. Die Koepes waren eine alte Kamener Familie, die durch Bierbrauen und Schnapsbrennen reich geworden war. Um ihre Gäste zum Wiederkommen zu bewegen, brauchten diese nicht immer sofort zu bezahlen, sondern konnten anschreiben lassen. Dann standen sie mit dieser Summe „in der Kreide“. Stadtchronist Pröbsting fragte sich: „Woher nahmen die armen Bürger das Geld, alle diese Getränke zu bezahlen? Oder waren sie so arm, weil sie ihr bißchen Vermögen so unnütz vertranken?“ Heute erinnert noch der Koepeplatz an sie. So blieb immer alles in der Familie.

Viele der Daten derer v.d.Recke liegen im Nebel der Geschichte. Sicher ist, daß die v.d.Reckes erst 1324/25 urkundlich erwähnt werden und damit „historisch“ werden. 1271 heiratete Diederich von der Recke, Burgmann auf dem Reckhof in Kamen, die Erbtochter N. Dobbe, die wohl „sagenhaft“, da nirgends belegt ist. Der Ursprung der Dynastie derer von der Recke liegt in Lerche auf dem Hofe Stam, der bereits 1392/93 in den ältesten Lehnbüchern der Grafschaft Mark erwähnt wird. Es gibt ihn heute noch. Entsprechend trugen einige derer v.d. Recke auch den Beinamen Stam oder Stamm. Die v.d. Reckes wurden eine der größten und mächtigsten Adelsdynastien in der Mark. Es hieß, „Wenn der Herr von der Recke auf den Boden stampft, erzittert die ganze Gegend“.

Abb. 4.: Blick vom Edelkirchenhof in Richtung Rottstraße (heute Adenauerstraße)

Am 10. April 1910 bekam das in Frage stehende Gelände1 eine gewisse Berühmtheit, als Rosa Luxemburg hier auf einem Leiterwagen eine Rede hielt, zusammen mit Fritz Husemann, einem Bergbau-Gewerkschafter, und dem Dortmunder Rechtsanwalt Dr. Cohn. Es war eine Wahlrechtsversammlung, in der es um die Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts ging, das das alte Dreiklassenwahlrecht ablösen sollte. Solch eine Veranstaltung mußte auf die Vertreter des damaligen politischen Systems umstürzlerisch wirken, weswegen es auch Bestrebungen gab, die Veranstaltung „wegen befürchteter Unruhen“ zu verbieten. Jedoch lief alles ruhig und diszipliniert ab, und das bei geschätzten 2.000 (bürgerliche Kamener Märkische Zeitung) oder 6.000 – 7.000 Teilnehmern (Dortmunder Arbeiter-Zeitung) Teilnehmern. Es wurden nur zwei Polizisten als Überwachende gesehen, aber betont, „daß viele Frauen anwesend gewesen seien, dazu bürgerliche Wahlrechtsfreunde und christlich organisierte Arbeiter“.2  Karl Eugen Brumberg, Seniorchef der Fa. Brumberg, erinnert sich noch gut, wie seine Eltern von diesem Ereignis berichteten.

Abb. 5: Karl Eugen Brumberg als junger Mann

Die Burgmannen wurden vom Grafen von der Mark aus den umliegenden Siedlungen nach Kamen gerufen, sie kamen sie u.a. von Haus Böing, Haus Reck, aus Westick, und Heeren. Sie zählten zu den Ministerialen der Grafen von Altena-Mark, d.h. ihnen unterlag die Hofhaltung und die Verwaltung, und sie wurden zu Verteidigungs- und Kriegsdiensten hergezogen. Zum Teil waren sie auch für die Abhaltung der Gerichtstage in der Stadt verantwortlich. Aus den Ministerialen entstand später der niedere Adel. Für ihre Leistungen und Dienste erhielten sie ein Dienstgut oder Lehen, über das sie dann im Laufe der Zeit frei verfügen und es vererben konnten. Bis ins 19. Jahrhundert hinein behielten diese Burgmannshöfe ihre adelige Freiheit von allen städtischen Lasten, auch wenn sie schon in den Besitz bürgerlicher Familien gelangt waren. Die Namen dieser Höfe wechselten zumeist bei einem Besitzerwechsel.

Die beiden genannten Burgmannshöfe wurden im 12. und 13. Jh. erbaut und gehörten damit zur zweiten Bauperiode solcher Höfe. Sie bestanden immer aus einem festen Haus, und waren von relativ viel Land umgeben. Sie wurden mit Gräben, Wällen und Palisaden befestigt, da sie an der damaligen Stadtperipherie lagen. Entsprechend ihrer Funktion wurden sie alle in der Nähe zu Stadttoren angelegt. Die Burgmannen siedelten im Laufe der Zeit in einem inneren und einem äußeren Ring um den aus Grafenburg und Kirche bestehenden Siedlungskern. Um die erste Gruppe von Burgmannshöfen herum wurde dann von 1243 bis 1247 die Stadtmauer gebaut.

Der Galenhof scheint von allen der größte und am besten befestigte gewesen zu sein. Seine Gräben und Wälle wurden erst 1898 eingeebnet, als er Wohnungen für die Bergleute weichen mußte. 1979 kaufte die Stadt Kamen ihn, ließ ihn abreißen und neu wieder aufbauen. Heute ist er der einzige heute noch erhaltene Burgmannshof in Kamen (vgl.a. Artikel „Am Galenhof“).

Die zwei Häuser neben Telgmann in der Weststraße, die zusammengebaut sind, sind ehemalige Gademen/Gadumen. Sie standen vor der Mauer des Haringhofes und waren für leitende Bedienstete dieses Burgmannshofes gebaut. Reste dieser Mauer um die Burg herum liegen unter dem Hause Hegerfeld.

KH

1 Wörtlich heißt es in der Anzeige, die am 8. April 1910 in der Dortmunder Arbeiter-Zeitung erschien: „Sonntag, den 10. April 1910, nachmittags 4 Uhr Große Wahlrechts-Versammlung unter freiem Himmel in Kamen auf dem Weidekamp des Herrn Koepe an der Kämerstraße.“

2 Zitate nach: Horst Hensel, Rosa Luxemburgs Auftritte im Ruhrgebiet und ihre Teilnahme an der Wahlrechtsdemonstration der SPD am 10. April 1910 in Kamen, Bielefeld 2004

Abbildungen:

Straßenschilder: Photos K. Holzer; Abb. 1, 3 & 4: Archiv Klaus Holzer; Abb. 2: KH nach Heinz Stoob, Städteatlas Kamen, Dortmund 1975; Abb. 5: Archiv der Fa. Brumberg