Abb. 1: Bernhard Heymann, 23. April 1861 – 10. Juni 1933
In der Serie des KKK „Kamener Köpfe“ sind bisher so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Buxtorf, Praetorius und Hamelmann erschienen, bedeutende Figuren am Beginn der Neuzeit nicht nur der Kamener, sondern auch der deutschen Geschichte; Männer wie Wienpahl, Reich und Donsbach, die als Industrieller, Stadtplaner und Pfarrer Spuren in Kamen hinterlassen haben; Meschonat, Kett und ihre Gruppe „Schieferturm“, die als Künstler nationale Bedeutung erlangten und deren Werke heute in vielen öffentlichen Gebäuden zu finden sind.
Noch gar nicht vertreten ist die Naturwissenschaft, dabei hat Kamen auch auf diesem Gebiet große Namen aufzuweisen. Als erster soll hier jemand vorgestellt werden, dessen Name wohl keinem Kamener mehr etwas bedeutet: Bernhard Heymann. Er war einer der Chemiker, die Deutschland einmal den Beinamen „Apotheke der Welt“ eingetragen haben.
Abb. 2: Das elterliche Geschäft in der Weststraße 20 (lks.)
BH war der Sohn des Kamener Kaufmanns Isaak Heymann und seiner Frau Sarah Levy, die ihr Geschäft für „Manufakturwaren, Konfektion, Betten, Möbel“ in der Weststraße 20 hatten. Der Familientradition folgend absolvierte Sohn Bernhard, das fünfte ihrer neun Kinder, zunächst eine kaufmännische Lehre, doch befriedigte ihn die damit verbundene Tätigkeit nicht. Also entschloß er sich, das Abitur nachzuholen (in Soest) und zum Studium der Chemie nach München zu gehen. An der dortigen Ludwig-Maximilians-Universität promovierte er bei Wilhelm Koenigs, einem damals bekannten Chemiker, nach dem die Koenigs-Knorr-Methode benannt ist, die eine der bekanntesten Reaktionen der Kohlenhydratchemie ist, und der dem jungen Heymann wohl die ersten Impulse für seine spätere Arbeit gab.
Abb. 3: F. Bayer & Co’s in Elberfeld, wo Bernhard Heymann seine erste Stelle hatte
Schon 1889 trat er seine erste Stellung im wissenschaftlichen Laboratorium der Farbenfabriken, vormals Bayer, in Elberfeld (heute Wuppertal-Elberfeld) an. Und nur sechs Jahre später, als er gerade einmal 36 Jahre alt war, wurde ihm die Leitung dieses Forschungslabors anvertraut, von niemand geringerem als Carl Duisberg, dem allerdings heute in mancher Hinsicht umstrittenen Motor hinter der Gründung der IG Farben. Unter Heymanns Führung errang das Institut bald internationales Renommee. Als, auf Betreiben Carl Duisbergs, das Labor nach Leverkusen verlegt wurde (heute als Bayer Leverkusen bekannt, zu dem auch seit 2006 das Bergkamener Schering-Werk gehört), war es Heymann, der im wesentlichen die wissenschaftliche Einrichtung gestaltete, nach den damals modernsten Erkenntnissen, die die großen Erfolge ermöglichten.
Zentrales Arbeitsgebiet war die weitere Erforschung der damals noch jungen Teerfarbenindustrie (damals Anilinfarben genannt; heute faßt man alle künstlich hergestellten organischen Farbstoffe darunter), der organischen Farbstoffe, d.h., der Farbstoffe, die Kohlenstoff enthalten. Die wichtigsten unter seiner Leitung entstandenen Ergebnisse betrafen chemisch-technische Prozesse wie Textilhilfsmittel (zum Färben und zum Veredeln von Textilien, z.B., um sie wasserdicht zu machen), Pflanzenschutz, Kautschukhilfsmittel (um ihm die gewünschten Eigenschaften zu geben wie z.B. Haltbarkeit, Elastizität, Biegsamkeit, Dichtigkeit usw.) und die chemische Katalyse (hier wird die chemische Reaktion mit Hilfe eines Katalysators in Gang gebracht, beschleunigt oder gelenkt).
Schon seit 1913 arbeitete Bernhard Heymann auch persönlich an der chemotherapeutischen Synthese. Unter seiner Leitung gelang Richard Kothe und Oscar Dressel ein Präparat, das gegen den Erreger der Schlafkrankheit wirksam ist. Wilhelm Roehl führte dieses Medikament zur Marktreife. Und Friedrich-Karl Kleine vom Königlich-Preußischen Institut für Infektionskrankheiten führte 1921 in Afrika die Feldversuche durch, mit durchschlagendem Erfolg. Die Weltpresse verglich das Ergebnis mit „biblischen Heilungen“.
1912 wurde Heymann stellvertretendes, 1926 ordentliches Vorstandsmitglied des Bayer-Konzerns.
Abb. 4: Die Tsetsefliege
Die Schlafkrankheit wird von der Tsetsefliege übertragen und führt nach einem Verlauf in drei Stadien zum Tode. Im Endstadium verfällt der Infizierte in einen schläfrigen Dämmerzustand, woher sich der Name ableitet. Das Medikament wurde zunächst als Bayer 205 eingesetzt und später „Germanin“ genannt. Für diese Entdeckung bzw. Entwicklung erhielt Bernhard Heymann hohe wissenschaftliche Auszeichnungen, u.a. die Ehrendoktorwürde der Universitäten Bonn und Dresden. Und von Frankreich, damals noch Kolonialmacht, stark in Afrika engagiert, wurde diese Erfindung so bewertet (lt. Brief seines Schwiegersohnes W.E. Brenner vom 14.4.1931): „Sie ist mehr wert als alle Reparationsleistungen.“ Das bezog sich auf die 132 Milliarden Goldmark, damals etwa 47.000 Tonnen Gold, die Deutschland an Reparationen nach dem I. Weltkrieg zu zahlen hatte, zuzüglich 26% des Wertes seiner Ausfuhren!
Der damalige Kamener Bürgermeister, Gustav Adolf Berensmann, gratulierte Bernhard Heymann zu seinem 70. Geburtstag. Er schrieb: „Dem bekannten Wissenschaftler und bedeutenden Sohn unserer Stadt sendet zu seinem 70. Geburtstage die herzlichsten Glückwünsche der Magistrat der Stadt Kamen. gez. Berensmann, Bürgermeister.
Hier die Antwort Heymanns (für alle, die sich an der alten Schrift versuchen wollen, folgen Kopien der Schreiben Heymanns am Ende des Artikels):
Herrn Bürgermeister Berensmann
Kamen i. Westfalen
Sehr geehrter Herr Bürgermeister!
Mit verbindlichem Dank bestätige ich den Empfang Ihres frdl. Schreibens vom 4. ds., sowie Ihrer Verwaltungsberichte für die Jahre 1924-1929. Ich habe die Berichte mit großem Interesse durchgesehen und mich darüber gefreut, daß meine Heimatstadt, die ich als unbedeutendes Landstädtchen in Erinnerung habe, inzwischen sich zu einer mit allen möglichen anderen Einrichtungen ausgestatteten Mittelstadt von ungefähr 12000 Einwohnern entwickelt hat. Ich hoffe, daß die schweren Zeiten, die heute schwer auf uns allen lasten und sicherlich auch Kamen nicht unberührt lassen, die Weiterentwicklung der Stadt nicht auf längere Zeit hemmen werden. Für die frdl. Uebersendung der Zeitungen, die Artikel über mich brachten, spreche ich ihnen meinen besonderen Dank aus.
Sie haben mir, sehr geehrter Herr Bürgermeister, mit Ihrer Aufmerksamkeit eine große Freude bereitet.
Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung verbleibe
ich Ihr sehr ergebener
B. Heymann
Abb. 5 & 6: Der Dankesbrief Bernhard Heymanns an Bürgermeister Berensmann
Bernhard Heymann war Vorstandsmitglied der IG Farben. Zusammen mit seiner Frau Johanna liegt er auf dem Friedhof Manfort in Leverkusen begraben.
K H
Textquellen:
Petersen, Siegfried, „Heymann, Bernhard“ in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 87 f. [Onlinefassung]
Hermann-Ehlers-Gesamtschule Kamen, Spuren jüdischen Lebens in Kamen von 1900 – 1945, Werne 1998
Dank an den Bergkamener Stadtarchivar Martin Litzinger, der den Dankesbrief Bernhard Heymanns „übersetzte“.
Bildquellen:
Stadtarchiv: Nr. 1, 5 & 6
Archiv Klaus Holzer: Nr. 2
Milestones, The Bayer Story 1863 – 1988, Leverkusen 1988: Nr. 3
Wikipedia, Brockhaus 1880: Nr. 4