Am Galenhof

von Klaus Holzer

Erklärungen zum Straßennamen „Am Galenhof“ kommen nicht ohne umfangreiche Erläuterungen des historischen Hintergrunds aus, handelt es sich doch bei dem Gebäude selbst um den letzten Burgmannshof in Kamen.

Kamen war Grenzfeste zwischen den Bistümern Köln und Münster sowie der Freien und Reichsstadt Dortmund, die alle ein Auge auf markanisches Territorium geworfen hatten, sich gern Teile davon einverleibt hätten. Daher mußte Kamen stark befestigt sein. Die Grafen von der Mark saßen in Hamm, Kamen war ihre zweite Residenzstadt. Sie brauchten also Leute, die für sie in Kamen die Stellung hielten, aber auch die Administration der entstehenden Stadt ausübten: Rechtsprechung, Einziehung von Abgaben u.ä. Diese Burgmannen bildeten den niederen Adel.

Kamen war an der einzigen Furt entstanden, an der Reisende zwischen Lippe und Hellweg die Seseke und das sie säumende breite Sumpfgelände queren konnten. In der Nähe dieser Furt bauten die Grafen von der Mark zu Beginn des 12. Jh. die Grafenburg, die, zusammen mit der von ihnen erbauten St. Severinskirche, zum eigentlichen Stadtkern wurde. Die Stadt Kamen ist eine „gewachsene“ Stadt des Mittelalters, d. h. sie ist in der vorstädtischen Phase aus mehreren Kernen zusammen gewachsen. Dies ist am unregelmäßigen Grundriß und der Straßenführung erkennbar. Noch heute läßt sich dieses deutlich am Urkataster von 1827 ablesen.

Abb. 1: Kamens drei Entstehungsphasen

Drumherum entstand ein Schutzring von Burgmannshöfen. Das waren große Häuser, wohl zumeist Fachwerkbauten auf steinernem Sockel, auf großen Grundstücken, die jeweils von Gräften und Wällen mit Holzpalisaden geschützt wurden. Ihre Hausherren kamen von Haus Böing, Haus Reck, aus Westick, Heeren und anderen Herrschaften aus der näheren Umgebung. Natürlich war es besonders wichtig, daß sie immer Bewaffnete für Verteidigungs– und Kriegsdienste vorhielten. Dafür waren sie von allen städtischen Abgaben befreit, selbst ihre bürgerlichen Nachfolger im 19. Jh. behielten dieses Privileg noch.

In Kamen sind 10 solcher Burgmannshöfe nachweisbar, möglicherweise gab es auch noch einen elften, die Trippenburg, deren Lage nur schlußfolgernd erahnt wird, die nie nachgewiesen wurde, an die heute nur die Burgstraße zwischen Ostenmauer und Koepeplatz erinnert.1 Diese Burgmannshöfe entstanden in zwei Phasen. Der erste, ältere Ring entstand im 12.  und 13. Jh. um Grafenburg und St. Severinskirche herum: westlich entstand der Westerholtsche Hof, nördlich folgend der Kappenberger Hof, weiter nordöstlich der Akenschokenhof, südöstlich die (nicht belegte) Trippenburg und südlich der Hanenhof. Sie bildeten die damalige Siedlungsgrenze und waren entsprechend stark befestigt (s.o.).

Abb. 2: Zwei Ringe von Burgmannshöfen

Da sich die Stadt gut entwickelte, weitere Bewohner anzog und sich also ausdehnte, entstanden zu Beginn des 14. Jh. fünf weitere Burgmannshöfe: westlich der beiden ersten Höfe der Galenhof, nördlich anschließend der Haringhof, östlich daneben der Palandsche Hof, weiter östlich die nicht genau zu lokalisierende Bohlenburg „auf dem Rode“ (vgl.a. „Rottstraße“) und noch weiter östlich der Reck-zu-Recksche-Hof. Ihre Gesamtanlage entsprach genau der des ersten Ringes.

Diese Burgmannshöfe brauchten Personal, das alle notwendigen Arbeiten ausführte: Handwerker, die Häuser bauen konnten, Dachdecker, Zimmerer und Tischler, Schmiede, aber auch Weber und Schneider, Gerber und Schuhmacher, Wagenmacher und Rademacher, Küfer, dazu Metzger, Bäcker, Köche, Diener, Mägde, Knechte für Feldarbeiten usw. So wuchs die Stadt, und weil sie seit der Mitte des 13. Jh. von einer soliden Stadtmauer umgeben war, 2,03 km lang, ca. 5 m hoch und 1 m breit, bot sie in Zeiten der Gefahr auch Schutz für die Menschen aus der Umgebung. Alle diese Menschen siedelten sich im „burgus“2 an und wurden folglich „burgenses“ genannt. Wurde die Stadt angegriffen, mußte jeder zum Verteidiger der Burg werden. Daraus entstand der Begriff „Bürger“.3

Hans-Jürgen Kistner schreibt in seiner kleinen Schrift „Kamen, die Stadt der Burgmannshöfe“:

»Der Name von Galen taucht im Jahre 1357 zum ersten Mal in einer Urkunde auf, in Urkunden des 14. und 15. Jh. werden sie häufig als Zeugen bei Rechtsgeschäften genannt, werden als Bürgermeister und Richter erwähnt. Offenbar waren sie eine in der Stadt bedeutende Familie, die vermutlich auch die ursprünglichen Besitzer des Galenhofes waren. Der Name Galenhof findet sich seit dem 16. Jh. in Urkunden. Bis 1655 bleibt der Hof im Besitz der Familie, gelangt dann durch Heirat in den Besitz des Freiherrn Robert von Romberg zu Massen. 1692 kommt er an den Drosten Dietrich von der Recke zu der Recke, der ihn gleich darauf an seinen Amtsschreiber Peter Hillermann für 1000 Reichstaler weiterverkauft. Der bürgerliche Besitzer behielt die Freiheit von allen städtischen Abgaben.

Abb. 3: Die Ostseite des Galenhofes in den 1950er Jahren …

Abb. 4: … und 2017

Als nächster Besitzer erscheint 1731 Hillermanns Schwiegersohn Gottfried Schulz, Akziseinspektor4 und Stadtkämmerer, später auch Bürgermeister. Entsprechend hieß der Galenhof von nun an Schulzhof. 1775 übernimmt Schulz’ Schwiegersohn, der Akziseinspektor und Bürgermeister David Friedrich Reinhard, den Hof. Insgesamt blieb er über 100 Jahre der Sitz von Bürgermeistern. In den Nachlaß-Teilungsakten wird der Hof beschrieben: „Das alhier zu Camen gelegene adelich freye Burg=Hauß Gohlenhoff, sammt Baum=Hof, Garten, Kirchen Bäncken und Begräbnissen ….“«

Da Kamen insgesamt 11 Mal abgebrannt ist, wäre es ein Wunder, wenn nicht auch Burgmannshöfe dabei gewesen wären, doch wurden seit Ankunft der Zeche in Kamen mehr Burgmannshöfe abgerissen als abgebrannt sind. Das 1982/83 abgerissene Gebäude des Galenhofes stammte aus dem 18. Jh., also vermutlich aus der Zeit des David Friedrich Reinhard. Im 19. Jh. kaufte der Dortmunder Kaufmann Wilhelm Schulz den Schulzhof, zuletzt kam er an den Papierfabrikanten Theodor Friedrich. (Dieser hatte seine Fabrik auf dem Gelände des Kappenberger Hofes.1895 brannte sie vollständig ab. Damit war Theodor Friedrich pleite.)

Der Kamener Stadtchronist Friedrich Pröbsting schreibt 1901:

„Im Jahre 1897 wurde die schöne Besitzung von der Gelsenkirchener Bergwerks-Aktiengesellschaft erworben und in dem genannten Jahre mit Arbeiter-Kasernen bebaut, nachdem die alten Mauern abgebrochen, die Wälle abgetragen und die tiefen Festungsgräben zugeschüttet worden waren. Dieser Burghof war durch seine ganze Anlage mit Mauern, Wällen und Gräben wohl der festeste Platz in Camen. Die jetzt dort stehenden Arbeiter-Häuser an der Hohental-, Lindenberg- und Gottesbergstraße werden in ihrer Gesamtheit bezeichnet „auf Schulz Hof“.

1898 erwarb die Gelsenkirchener Bergwerks AG das Gebäude mitsamt dem Grundstück.“

Das bedeutete das Ende des Galenhofes als Burgmannshof. Die Zechenverwaltung brauchte Wohnraum: der Strom an Bergleuten für die 1873 abgeteufte Zeche Monopol riß nicht ab. Kamen wuchs von ca. 3700 Einwohnern im Jahre 1870 auf ca. 11000 im Jahre 1900!.

Friedrich Pröbsting weiter:

„Auch aus Westpreußen, Polen, Italien und Ungarn erschienen viele Arbeiter, für welche die Zechenverwaltung im Laufe der Jahre eine große Menge von Arbeiterwohnungen erbauen ließ. Die erste Häusergruppe wurde in der Nähe des Bahnhofs gebaut; dies sind zum Teil kleinere Häuser für je vier Familien. Sodann wurde der alte von der Recksche Burghof, Vogels Hof genannt, an der Nordstraße, bebaut, und dann an der Nordenmauer auf Rungenhof eine Reihe von Häusern – jedes zu 12 Familien – hergestellt. Als dies alles nicht hinreichte, kaufte die Gelsenkirchener Gesellschaft den alten von Galen Burghof, Schulz-Hof genannt, mit Gärten und allem Zubehör am Westentor und ließ hier im Jahre 1897 einen neuen Stadtteil entstehen, der in 20 Häusern für 240 Bergmannsfamilien Wohnungen verschaffte. Zur Zeit sind nun in der Stadt und der städtischen Feldmark an 600 Arbeiter- oder Bergmannsfamilien in den Häusern, welche von der Zechenverwaltung gebaut wurden, angesiedelt. Doch ist man dabei nicht immer von den heute anerkannten Grundsätzen ausgegangen, nach denen die kleineren Häuser für je 2 oder 4 Familien empfohlen werden, weil die großen Häuser für 12 Familien nur mit zwei Hausthüren mancherlei sanitäre und sittliche Bedenken erwecken.

Viele der hier wohnenden Bergleute werden täglich auf der Zechenbahn von Camen nach dem Schacht Grimberg in Bergcamen gefahren, wo es noch an Wohnungen für die Arbeiter fehlt. Erst im Jahre 1900 ist auch dort eine Arbeiterkolonie erbaut worden, um die Leute in der Nähe der Zeche zu haben.“ Und als Fußnote: Es „sei uns gestattet, zu berichten, daß die Gelsenkirchener Gesellschaft für die Kinder der im Westen der Stadt wohnenden bergmännischen Bevölkerung auf Schulz-Hof auch noch eine zweite Kleinkinderschule auf ihre Kosten eingerichtet hat, und sich dadurch um das sittliche Wohl der Bergmannsfamilien wohlverdient macht.”

Ganz anders sieht das dagegen August Siegler in der Zechenzeitung 1926: „In schneller Reihenfolge entstanden nun in Kamen die großen Koloniebauten. Die Zechenverwaltung erwarb 1888 das schöne Besitztum des Barons von Vogel und den Rungenhof und 1897 den Schulzhof. Gleich nach dem Erwerb dieser Grundstücke wurde mit dem Bau der großen Koloniehäuser an der Kampstraße, Nordenmauer und Nordstraße begonnen. Drei dieser Häuser haben für je 12 Familien nur einen Eingang von der Straße aus und einen Ausgang zum Hof. Man kann nicht sagen, daß eine solche Bauweise dazu dient, die Gemütlichkeit und den häuslichen Frieden zu fördern.“ Und er erkennt noch etwas: „Durch den Bau dieser Häuser fielen leider schöne Grünflächen in der Stadt fort.“

August Siegler war damals möglicherweise auch einer der wenigen, vielleicht sogar der einzige, der auch, weiterblickend, die städtebaulichen Folgen erkannte. „Die Kampstraße war damals von der Rottstraße bis zur Nordenmauer sehr schmal. An der Ecke der Rott- und Kampstraße, wo sich jetzt die Metzgerei befindet, war ein Teich. Gegenüber lag im Baumhof der von Vogelschen Besitzung auch ein solcher. An der Nordenmauer stand eine große alte Scheune mit Wohnung. An der Nordstraße befanden sich von Mauern umgebene Gärten. Zwischen diesen lag hinter dem größeren Eingangstor der gepflasterte Weg zum Hauptgebäude. Die Stadtväter waren zu ängstlich, dieses schöne Grundstück, das zu einem niedrigen Preise zu erwerben war, zu übernehmen. Auch war damals die Einstellung mancher Kreise hinderlich, solche Gelegenheiten wahrzunehmen. Die Konkurrenzfurcht ließ sie nicht ruhen, dahingehende Pläne zu bekämpfen. Privatleute hatten aber erst recht keinen Mut, die billigen Grundstücke zu erwerben. Der Zechenverwaltung konnte man daraus keinen Vorwurf machen, daß sie die ihr angebotenen Grundstücke erwarb.“

Abb. 5: Luftaufnahme von Kamen von 1919; das „dunkle“ Gelände in der Bildmitte ist der Galenhof, mit Zechenwohnungen bebaut, davor verläuft der Weg, der in den 1920er Jahren zur Koppelstraße ausgebaut wird

Man ließ also die Gräfte des Galenhofs zuschütten, die Wälle einebnen, die Bäume fällen. In das Burghaus baute man neun Kleinwohnungen mit je drei Zimmern ein, den Saal zu einem Schulraum für eine Kleinkinderschule um. Es entstanden zu jedem Haus hölzerne Schuppen, wie sie damals üblich und notwendig waren. Es hatte fast jeder ein Schwein dort stehen, eine „Bergmannskuh“ (Ziege) und, natürlich, Hühner und Tauben. Noch einmal Siegler: „Als im Jahre 1897 der Schulzhof bebaut wurde und die Hohendahl-, Lindenberg-, Gottesberg- und Koppelstraße, jetzt Rathenaustraße, entstanden, wurde der bis dahin freiliegende Eingang vom Westen in die Stadt vom Volksmund ‚das schwarze Tor‘ genannt.“ Weil die Bergleute anfangs ungewaschen, d.h., schwarz, von der Arbeit nach Hause kamen.4

Abb. 6: Die alte Zechenbebauung („ die Kaußenhäuser“) 

Bis 1967 änderte sich nichts mehr. Die Gelsenkirchener Bergwerks AG blieb Eigentümerin des Galenhofs, die von vornherein nicht gute Bausubstanz verfiel, das Wohnen genügte nicht im entferntesten modernen Ansprüchen. In diesem Jahre kaufte der Kölner Immobilienkaufmann, später „Immobilienhai“ genannte, Günter Kaußen, den Galenhof mit den Wohnungen von der damaligen Monopol Bergwerks GmbH (in Kamen und Bergkamen insgesamt 1115 Wohnungen!), vermietete sie teuer, investierte aber nichts. Als 1977 „Der Spiegel“ eine Titelgeschichte über ihn brachte, geriet Kaußen unter immer stärkeren Druck. Er erhängte sich schließlich 1985 in seinem Haus in Köln.

Abb. 7: Die heutige Wohnbebauung an dieser Stelle stammt aus den 1980er Jahren

Die Stadt Kamen erkannte die Situation und kaufte Kaußen 1979 den ganzen Galenhof ab. Man wollte ihn erhalten – schließlich war es inzwischen der letzte erhaltene Burgmannshof Kamens; in den 1960er Jahren waren schon der Westerholtsche, der Kappenberger und der Reck-zu-Recksche Hof abgebrochen worden –, das ging aber nur, wenn man einen neuen Verwendungszweck für ihn fand. Das Gebäude wurde abgetragen, was weiter verwendet werden konnte, sorgfältig numeriert und in den Neubau (so muß man den heutigen Galenhof wohl bezeichnen) integriert. Heute ist die Musikschule der Stadt Kamen darin untergebracht. Die alten, maroden Zechenhäuser wurden ebenfalls abgerissen und durch modernen Ansprüchen genügende Wohnhäuser ersetzt.

Manche Kamener Gästeführer weigern sich, den Galenhof in ihre Stadtführungen aufzunehmen, weil an ihm nichts mehr original sei. Doch original oder nicht – es gibt kein zweites Gebäude in unserer Stadt, das überhaupt noch einen Eindruck vermitteln kann, was man sich unter einem Burgmannshof eigentlich vorzustellen hat, und der Galenhof hat sich in der äußeren Form nicht verändert. So sah der größte der Kamener Burgmannshöfe einmal aus.

Was zu Beginn Kamens großer Vorteil gewesen war, nämlich gut ausgebauter Sitz von 10 Burgmannshöfen zu sein, erwies sich im 20. Jh. als wesentlicher Nachteil für die Stadtentwicklung. Jeder dieser Burgmannshöfe verfügte über ein großes Grundstück, das außerdem durch Gräfte und Wall befestigt war. Damit stand relativ viel Grund für die allgemeine Stadtentwicklung nicht zur Verfügung, war ihr im Gegenteil durch die Bebauung mit billigen Zechenhäusern entzogen. Dadurch konnten sie erst sehr spät für eine der ganzen Stadt dienende Bebauung verwendet werden, eine modernen Ansprüchen genügende Bebauung auf dem Galenhof, nach zweimaligem Scheitern scheint jetzt das Kamen-Quadrat eine dauerhafte Verwendung des Vogelhofes zu gewährleisten, der Rungenhof beherbergt das Gymnasium. In jedem Fall aber entwickelten sich diese Gelände nicht organisch, immer mußte reagiert werden.

1 Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang, was es mit dem „Rungenhof“ auf sich hat. Vermutlich war das einer der ersten, wenn nicht der erste Burgmannshof, ein gutes Stück außerhalb der frühen Stadt, im Verlaufe der dritten Entwicklungsphase „eingemeindet“. Möglicherweise war er ursprünglich zum Schutz des Ostentores gebaut worden, das aber nicht besonders geschützt zu werden brauchte, da die Straße nach Hamm (damals die Derner Straße) sicher war: dort residierte der Graf von der Mark.

Eine weitere Möglichkeit, warum es über den Rungenhof keine Erkenntnisse gibt: er lag ursprünglich ein Stück weit draußen, außerhalb der engeren Bebauung. Als die Stadtmauer gebaut wurde, erschien es unzweckmäßig, sie wegen des Rungenhofs so weit nach außen zu führen: zu lang, daher schwerer zu verteidigen, zu teuer, zusätzliche Sicherheit wg. der märkischen Residenzstadt Hamm war bereits vorhanden, daher wurde der Rungenhof nicht mehr benötigt und abgerissen.

Pröbsting erwähnt 1901 den Rungenhof in einem Atemzug mit dem Galenhof und dem von der Reckschen Hof (=Vogelhof). Desgl. Siegler 1926.

Um 1900 wurde das freie Gelände von der Zeche gekauft und mit Zechenwohnungen bebaut.

2 Spätlateinisch für Kastell, Wachturm; die Germanen hatten keine Städte

3  Spätl.„burgus“ + althochdeutsch „waere/waran“ = wehren, verteidigen.

4 Akziseinspektor = Steuerinspektor; die Akzise war eine Verbrauchs– und Verkehrssteuer, die erhoben wurde z.B. von Kaufleuten, die zum Kamener Markt wollten, um ihre Waren anzubieten

5 Nach demselben Prinzip verfuhren die Kamener auch im Falle der Anfang der 1920er Jahre gebauten Hindenburgsiedlung, der Kolonie im Bereich der Lüner Höhe, die von den Kamenern nur „Negerdorf“ genannt wurde.

 

Abb.: 1, 2 & 5: Archiv Klaus Holzer; Abb.: 3 & 6: Stadtarchiv; Photo 0, 4 & 7: Klaus Holzer

KH

Schulstraße

von Klaus Holzer

Abb. 0

Die Schulstraße war jahrhundertelang der Standort Kamener Schulen, hier vor allem der Vorgängerbau des alten Küsterhauses neben der Pauluskirche. Die älteste Urkunde mit der Erwähnung eines Lehrers in Kamen stammt von 1320. Darin wird ein „Johann rector scholarum“ genannt. Pröbsting nimmt aber an, daß schon vorher eine Schule bestanden haben muß, da diese am Anfang immer den Kirchen angegliedert waren, und die St. Severinskirche (heute Pauluskirche) besteht schon seit dem frühen 12. Jh.

Abb. 1: Das alte Küsterhaus

Und 1418 wird urkundlich belegt, daß es nur einen Lehrer an dieser Schule gab. Das Vorläufergebäude des alten Küsterhauses neben der Pauluskirche war bereits im 16. Jh. eine Schule, die „schola latina camensis“ und hatte Platz für 24 Schüler. Wegen des ständigen Geldmangels war die bauliche Erhaltung ein Dauerproblem, immer war es kalt und zugig, regnete es herein. 1586 gab es hier drei Lehrer: primarius Antonius Praetorius, magister Lambertus Ulentorpius und magister Jost Timann. Nach 1600 stand hier die Evangelisch-Reformierte Schule, ab 1858 die Städtische Rektoratsschule, der Vorläufer des heutigen Städtischen Gymnasiums. Die letzte Schule an diesem Standort war die Pestalozzischule, zum Schluß als VHS-Gebäude benutzt, seit etwa 15 Jahren in ein Wohnhaus umgewandelt.

Abb. 2: Die Städtische Rektoratsschule, 1904 abgerissen

Abb. 3: Der 1905 begonnene Nachfolgebau, die Pestalozzischule

Abb. 4: Antonius Praetorius, gesehen vom Kamener Künstler Reimund Kasper

Der erste namentlich bekannte Rektor dieser Lateinschule war der o.e. Antonius Praetorius, der sich als erster großer Gegner der Hexenverbrennungen einen Namen machte. Im Jahr 1580 kommt er unter dem Namen Anton Schulze, gebürtig aus Lippstadt, als Lehrer nach Kamen, nennt sich aber, wie alle Studierten der mittelalterlichen Tradition folgend, lateinisch Antonius Praetorius. Hier heiratet er 1584 Maria, eine Kamenerin, die ihm 1585 den Sohn Johannes gebiert. Offenbar ist er ein guter Lehrer, er erwirbt sich bald Ansehen. Schon 1586 wird er zum Rektor der Kamener Lateinschule bestellt, was durch eine Urkunde vom 28. April 1586 im Kamener Stadtarchiv belegt ist.

Abb. 5. Die Urkunde von 1586, die Antonius Praetorius‘ Tätigkeit in Kamen belegt

Er ist wohl ein sehr guter Lehrer, denn man traut ihm zu, die „übel erzogenen wilden Rangen“ zu „Gottesfurcht, Zucht und Tugend“ (Stadtchronist Pröbsting) erziehen zu können. Umso erstaunlicher, daß es zu Anfang des 17. Jh. eine relativ große Anzahl an Studenten ex schola Camensi gab. Um die Erziehung ihrer Kinder zu verbessern und diesen guten Lehrer halten zu können, stifteten 14 prominente Kamener Bürger, darunter auch der damalige Bürgermeister Joachim Buxtorf aus der bekannten Gelehrtenfamilie, 1520 Taler und 72 Taler Rente pro Jahr, woraus Praetorius und zwei weitere Lehrer bezahlt werden sollten. Als Bedingung wird genannt, daß diese Stiftung nur so lange gelten solle, wie die Schule der „Augsburgischen Konfession“1 folge, d.h. evangelisch bleibe.

Bis 1859 wurde diese Schule von der evangelischen Kirchengemeinde betrieben, durch einen Vertrag zwischen Kirchengemeinde und Stadt, am 7. Februar 1859 von der Königlichen Regierung zu Arnsberg bestätigt, wurde diese Rektoratsschule städtisch, sollte aber evangelisch bleiben. Als Zeichen dafür sollte der älteste Pfarrer dieser Gemeinde ständiges Mitglied des Rektorat-Kuratoriums sein.

Der Sohn des Küsters Philip Ruß, der natürlich im Küsterhaus wohnte, ebenfalls Philip genannt, gilt als (einer der) Entdecker des „Schweinfurter Grüns“. Aus seinen Einnahmen daraus vermachte er seiner Heimatstadt später 2000 Taler.

Abb. 6: Das „Storchenhaus“

Auf der Ecke Schulstraße – Wimme steht eine Villa, die immer den Blick der Vorübergehenden auf sich zieht, weil sie sich äußerlich von allen anderen Häusern in Kamen unterscheidet. Sie hat eine richtige Einfahrt, der Sockel ist aus Bruchsteinen gemauert, darüber erhebt sich eine vielfach gestaltete Dachform mit Säulen, Erkern, Loggia. Und selbst der Schornstein scheint einem Taubenhaus nachempfunden. Es ist ein typisch historistischer Baustil. Es stammt aus den 1890er Jahren und wurde vom ersten Kamener Gynäkologen, Dr. med. R. Boschulte errichtet. An seinen Beruf erinnern noch heute die beiden Storchenköpfe links und rechts auf dem Gittertor. Da diese aber meistens offenstehen, muß man es wissen oder schon sehr genau hinschauen, um sie zu entdecken. Später war Dr. Boschulte auch Stadtverordneter. Seine Tochter erbte dieses Haus mitsamt dem Grundstück. Sie verkaufte einen Teil davon in den 1890er Jahren an die katholische Kirche. Heute steht die Kirche Hl. Familie darauf.

Auf der Ecke zur Julius-Voos-Gasse stand ehemals die Metzgerei Voos. Aus ihr ging … Aber diese Gasse verdient  einen eigenen Beitrag.

Abb. 0, 1, 5 & 6:  Photos Klaus Holzer (ausgen. Abb. 2)

Abb. 2 & 3: Archiv Klaus Holzer

 

1 Confessio Augustana, 1530, von Melanchthon verfaßte grundlegende Bekenntnisschrift der lutherischen Kirche

KH