von Klaus Holzer
Eine Koppel ← lat. copula, ist ein Verbindungsstück bzw. ein Band. Und genau so zog sich das große Areal, das in der Kamener Urkatasterkarte von 1827 so hieß, wie ein Band westlich bis südwestlich um die Stadt. Der Name existiert in mehreren Verbindungen:
Dieses Gelände umfaßt das gesamte Gelände südwestlich bis westlich der Stadtmauer (vgl. Abb. 6): „Auf der kleinen Koppel“ im Süden, direkt an den südlichen städtischen Filleplatz1 angeschlossen, reicht sie in 2 Flurstücken „In der Koppel“ bis nördlich des Westentors. Westlich schließt sich der Kalthof2 an, nördlich „Auf dem Spiek“. Älteren Kamensern dürfte dieses Gelände wohl vor allem als „Römers Wiese“ in Erinnerung sein.
In früheren Zeiten handelte es sich bei der heutigen Koppelstraße nur um einen Feldweg, auf dem Vieh auf die Weide und zurück in den Stall getrieben wurde. Für Bauer Römer ging das bis in die 1960er Jahre: jeden Morgen trieb er sein Vieh durch die Weststraße Richtung Römers Wiese, jeden Abend wieder zurück. Auch wenn das Bild damals schon trog, hier hatten die Kamener zum letzten Mal das Bild des kleinen Ackerbürgerstädtchens, das Kamen jahrhundertelang war, vor Augen.
Vom Westentor gingen zwei Wege ab: der wichtigere, daher größere, eine alte Handelsroute, führte in die Hansestadt Lünen, und eine kleine nach Westick und Methler, kleinen, Kamen vorgelagerten Gemeinden, die damals einzige Verbindung von Kamen dorthin.
Abb. 1: Römers Wiese; Bauer Römer hatte seinen Bauernhof in der Weststraße, Ecke Kämerstraße; noch bis in die frühen 1960er Jahre trieb er sein Vieh über städtische Straßen zur Weide und in den Stall zurück
Im Süden ging dieser Feldweg bis zur Seseke, die vor der Regulierung in den 1920er Jahren hier einen starken Knick nach Süden machte, im Norden über das Kämertor hinaus bis zum Norden–oder Viehtor.
Zwischen dem „Koppelweg“ und der Stadtmauer lag der alte Kirchhof, wahrscheinlich ein Armenfriedhof, da er außerhalb der Stadtmauer lag, doch soll hier auch der jüdische Friedhof gewesen sein, vielleicht auf einem abgeteilten Stück. Juden mußten damals immer außerhalb der Stadtmauern beerdigt werden, weil sie eben nicht Christen waren.
Abb. 2: Der neue Koppelteich
Die Koppelstraße wurde erst in den 1920er Jahren zur richtigen Straße ausgebaut, in Verbindung mit dem Seseke-Umbau. Es handelte sich dabei um den Beginn einer Umgehungsstraße. Eigentlich eine recht weitsichtige Entscheidung, können doch heutige Städte den modernen Verkehr nicht mehr verkraften. Im Mittelalter war das undenkbar. Mann wollte allen Verkehr in der Stadt haben, man wünschte die Beschickung der Märkte und das brachte Akzise3 ein. Und die Kaufleute schätzten die Sicherheit innerhalb der Stadtmauern.
Beim Bau der Koppelstraße war die Seseke schon zu einer Kloake verkommen, durch starke Verschmutzung vor allem von der Zeche in Bönen bereits ein toter Fluß. Im Oktober 1905 hatte die Einleitung einer hochkonzentrierten Ammoniakmischung alles Leben in der Seseke getötet, darunter auch den Kömschen Bleier, der damit ausgestorben war. Obendrein waren die alljährlichen Überschwemmungen gefährlich. Bis in die Weststraße stand das Hochwasser manchmal. Um dieses Problems Herr zu werden, war 1913 die Seseke-Genossenschaft gegründet worden.
Da traf es sich gut, daß der damalige Bürgermeister Berensmann, aus Laasphe kommend, sich von dort den Baurat Reich nach Kamen holte. Die beiden entwickelten große Aktivität bei der Neugestaltung der Stadt. Um die Seseke einzudeichen, brauchte man viel Aushub. Den bekam man auf dem Areal „In der Koppel“ und am Bahndamm gegenüber der Post. So hatte Kamen ab 1930 zwei wunderschöne Teiche, die sich auch bald größter Beliebtheit in der Bevölkerung erfreuten. Vor allem der Koppelteich konnte bald mit Gondeln befahren werden und bekam daher den Namen „Gondelteich“. In der Mitte befand sich eine Insel mit einem Schwanenhaus darauf.
Abb. 3. Der fertiggestellte Koppelteich in den 1930er Jahren, mit Schwanenhaus
Im Winter waren beide Teiche bestens geeignet zum Schlittschuhlaufen, Eishallen gab und brauchte es nicht.
Abb. 4: Schlittschuhlaufen auf dem Gondelteich, noch in den frühen 1960er Jahren ein kostenloses Vergnügen
Gleichzeitig mit dem Straßenbau wurden auch die dortigen Häuser errichtet. Sie gehörten wohl der Zeche und waren für die sog. Zechenbeamten gebaut. Am Haus Koppelstraße 24 befindet sich über der Eingangstür die Skulptur eines Ziehharmonikaspielers, in einem Stil, der für die damalige Zeit typisch war. Ein Pendant dazu, ein Stadtpfeifer, befindet sich übrigens am Ulmenplatz, beide entworfen vom Dortmunder Bildhauer Heinrich Beier. Ein weiteres Relief von ihm gibt es am Hause Schäferstraße 6. Er schuf übrigens auch das 1946 abgebrochene „Löwendenkmal“ vor der Pauluskirche, im Oktober 1927 eingeweiht.
Abb. 5: Luftaufnahme des vom neuen Stadtbaurat Gustav Reich überplanten südlichen Gelände Kamens; in der linken unteren Ecke die 1927 eingeweihte Badeanstalt, in der rechten oberen noch soeben die 1901 erbaute Synagoge (Dank an Herrn Ehresmann, Kamen, der die Postkarte zur Verfügung stellte)
Diese Arbeiten wurden im Rahmen von Notstandsarbeiten nach der Inflationszeit ausgeführt. Sie bedeuteten einen großen Sprung vorwärts für die Stadt, aber es gab auch viel politischen Streit wegen der daraus resultierenden hohen städtischen Verschuldung.
Die Koppelstraße wurde am 20. August 1924 für den Verkehr freigegeben und hieß Walther– Rathenau–Straße (29.9.1867 – 24.6.1922); dieser war der Sohn des AEG-Gründers Emil Rathenau. Er war sozial– und kulturpolitischer Schriftsteller, selber im Vorstand der AEG und 1919 bei den Vorbereitungen zur Friedenskonferenz von Versailles tätig, war ab 1922 Reichsaußenminister, schloß den Rapallo–Vertrag mit der UdSSR ab. Er wurde von ehem. Offizieren der Organisation Consul ermordet, einer rechtsradikalen Organisation, die die Weimarer Republik zerstören wollte.
Ab 1934 hieß die Koppelstraße Horst-Wessel-Straße (9.10.1907 – 23.2.1930). Wessel war Student, ab 1926 NSDAP-Mitglied, wo er 1929 zum SA-Sturmführer avancierte. Er starb an den Folgen eines Überfalls, woraufhin er zum national–sozialistischen Märtyrer stilisiert wurde. Sein Lied „Die Fahne hoch …“, das „Horst–Wessel–Lied“, wurde von den Nationalsozialisten zur 2. Nationalhymne erhoben.
Es ist eine Merkwürdigkeit der Koppelstraße, daß die beiden ersten Namensgeber umgebracht und von ihren jeweiligen Anhängern quasi als Märtyrer gesehen wurden. Erst nach dem Krieg erfolgte die Benennung in Koppelstraße.
Dort, wo sich heute die Auffahrten zur Hochstraße befinden, sowohl an der Bahnhofstraße wie an der Koppelstraße, lag bis dahin der „Grüne Weg“, der für viele Kinder der Weg zur Badeanstalt war. Der Name erinnert an die Flur „In der grünen Straße“ zwischen Mühlensteinweg und Filleplatz.
Abb. 6: Urkataster von 1827, nach Stoob; gut zu erkennen: In der Grünen Straße, Auf der kleinen Koppel, In der Koppel; Am Mühlensteinweg ist die heutige Bahnhofstraße
K H
Alle Abbildungen: Archiv Klaus Holzer
1 Filleplatz: Abdeckplatz für krankes und verendetes Vieh wie auch für die Reinigung der Tierhäute von Fleisch– und Fettresten durch die Schuhmacher bzw. Gerber
2 Kalthof: bezeichnet einen Hof bzw. eine Hofstelle, die im Verlaufe ihrer Geschichte zumindest für eine kurze Zeit nicht bewohnt war, deren Herdstelle also „kalt“ war
3 Akzise: Warenzoll