von Klaus Holzer, auf der Grundlage eines Artikels von Edith Sujatta.
Der Marktplatz
In frühester Zeit spielte sich Handel vor allem an wichtigen Verkehrswegen und Flußübergängen ab. Genau so war es auch in Kamen. Über die „Lange Brücke“ (am Bollwerk) führte der einzige Weg über die Seseke und ihr Sumpfgebiet, wenn man von Süden zur bedingt schiffbaren Lippe oder von dort zum Hellweg wollte.
Hier siedelte sich zuerst eine Sippe an, die den Übergang zur Sicherheit bewachte und gegen Zoll begehbar hielt, was wegen der üblichen Hochwasser im Herbst und Frühjahr wichtig war. Wo viel Handel getrieben wird, folgen bald Handwerker und andere Leute. Dann bauten die Märker die Grafenburg mit einer ecclesia propria (Eigenkirche) für die Bewohner der kleinen Siedlung, da es noch keine organisierte Kirche gab. Dann wuchs die Siedlung rasch an, war erfolgreich. Es entwickelte sich eine erfolgreiche Kaufmannschaft, die z.B. auch in der Hanse äußerst erfolgreich war. Die Siedlung wuchs, dehnte sich über das Kernoval hinaus. Es entstand das Bedürfnis nach einem Stadtzentrum, das gleichzeitig Handelszentrum sein sollte. Also legte man einen Marktplatz* an und baute sich gleich ein Rathaus dazu. Und weil man wußte, wie erfolgreich man war, geriet der Marktplatz so groß. Noch heute wirkt er für ein Städtchen wie Kamen ziemlich groß. Wie muß er erst zur Zeit seiner Entstehung gewirkt haben! Für ein Städtchen von wenigen hundert Bürgern! Ein Zeichen von Bürgerstolz, von Unabhängigkeit von Kirche und Graf.
Damit hatte Kamen alles, was die mittelalterliche Stadt ausmacht: eine Burg, eine Kirche, ein Rathaus und einen Marktplatz, alles umgeben und geschützt durch einen Fluß, Gräben, Wälle mit Palisaden* und die Stadtmauer mit zunächst sechs Stadttoren.
An diesem Ort begann sich nun das öffentliche Leben abzuspielen. Märkte wurden daher zu zentralen Orten für die Entwicklung der deutschen (und europäischen) Stadt. Der Markt erhielt seinen Namen von seiner Funktion: hier spielte sich der Handel in der Stadt ab.
Abb. 1: Der Markt um 1900: das kleine Ackerbürgerstädtchen ist noch deutlich zu erkennen
Der Markt war in den Städten fast immer die erste Adresse. In Kamen gab es keine Patrizier wie in den Großstädten, aber auch hier wohnten an dem zentralen Platz keine armen Leute. Daß die Grundstücke hier teurer waren, kann man immer noch erkennen: die wirklich alten Häuser am Markt sind alle giebelständig, also vorne möglichst schmal, aber ganz lang, oft bis zur nächsten Nebenstraße, der Weststraße zum Beispiel. Dort waren dann auch die Scheunentore, damit die Vorderfront nicht mehr so bäuerlich aussah. Und an der Marktseite konnten auf diese Weise mehr Häuser aufgestellt werden als bei Traufenständigkeit.
Abb. 2: Auch für offizielle Gelegenheiten: Prunk neben den Ackerbürgerhäuschen
Wichtig für die frühe Stadt war auch das Privileg, Märkte abzuhalten, Wochen– und Jahrmärkte. Kamen hatte das Privileg für zwei Jahrmärkte, einen zu Pfingsten und einen am Tag des Hl. Severin, des Patrons der Kamener Severinskirche, der heutigen Pauluskirche. Während des Severinsmarktes wurden auch im Ratssaal kostbare Waren gehandelt, die vor schlechter Witterung und Diebesgesindel geschützt werden mußten. Die Musik spielte hier zum Tanz auf, und Gaukler nutzten den Saal zur Unterhaltung der Bürger. Wochenmärkte gab es sonntags, montags und donnerstags. Dann gab es alles das zu kaufen, was der Kamener Ackerbürger nicht selber herstellen konnte.
Abb. 3: Frühe 1950er Jahre: Kriegslücke hinter dem Bus, doch steht noch die Bäckerei von der Heide, die dann für die heutige Marktstraße Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre abgerissen wurde
Kamen war eine bedeutende Stadt, die zweite nach der Residenzstadt der Grafen von der Mark, Hamm. Daher hatte es eine Reihe von Privilegien: u.a. war es an Jahr– und Wochenmarkttagen verboten, Schulden zurückzufordern oder sonstige Verpflichtungen einzulösen. Geschäfte gingen vor. Und die Zeiten der Jahrmärkte waren auch die fast einzige Möglichkeit, im ewigen Einerlei des arbeitsreichen und mühsamen Lebens etwas Unterhaltung zu haben. Die Märkte waren freie und unbeschwerte Tage.
Die Freiheit ging der Obrigkeit wohl oft zu weit. So steht in der Kunibertusordnung, die am Tag des Hl. Kunibert, am 12.November, in der Kirche verlesen wurde: sonntags, während der Predigt, ist der Wirtshausbesuch verboten, auch das „Suppenfressen“ und das „Bier-und-Branntwein-saufen“ sind verpönt (verboten) bei einem Taler Brüchte (Strafe).
Abb. 4: Frühe 1950er Jahre: im Hintergrund Mitte das Haus der Familie von Mulert, Anfang der 1960er Jahre abgerissen; die Autos tragen noch britische Militärkennzeichen
Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert wurden viele Häuser am Markt verputzt, um ihnen den Anschein von Steinhäusern zu geben. Die waren „feiner“, weil teurer, und das wollte zeigen, wer es sich leisten konnte. Heute sind Fachwerkhäuser wieder beliebt, weil sie so schöne nostalgische Gefühle nach der guten alten Zeit wecken, die Geborgenheit und Gemütlichkeit zu versprechen schien. Hoffen wir, daß unsere gute Stube noch lange ihre besondere Atmosphäre behält.
- aus lateinisch mercatus – Handel, Markt, Messe
- Holzpfähle, nebeneinander als Schutz in den Boden gerammt, oft zusätzlich auf Wällen aufgestellt
KH