von Klaus Holzer
Es mag merkwürdig anmuten, den Artikel über den Kamener Stadtpark mit einem Exkurs über Friedhöfe zu beginnen, doch hat sein Entstehen genau damit zu tun.
Im MA wurden die Toten in der Regel direkt um die örtliche Kirche herum begraben, daher kam auch die Trennung in konfessionsgebundene Begräbnisstätten. Der Name Friedhof war nicht gebräuchlich. Bei Protestanten wurde „Kirchhof“ gebräuchlich, nach der Lage um die Kirche herum. Katholiken bevorzugten meist „Gottesacker“. Aber mitten in der Stadt so viel Gelände freizulassen, damit auf Jahre hinaus alle Toten beerdigt werden konnten, bedeutete auch, daß die Toten die Lebenden verdrängten. Teurer Grund wurde dem allgemeinen Gebrauch entzogen. Daher verlegte man diese Begräbnisstätten immer mehr vor die Städte und nannte sie Friedhof. Das hatte nichts mit „Frieden“ zu tun, wie wir heute im allgemeinen annehmen, sondern leitet sich vom ahd. „frithof“, einge„fried“etes, d.h., umzäuntes Grundstück, ab.
In Kamen geschah das im Jahre 1810, als die Stadt zum Arrondissement Hamm gehörte. Auch hier also fand ein Modernisierungsschub unter französischem Einfluß statt. Die innerstädtischen Kirchhöfe wurden geschlossen, ein neuer Totenhof vor dem Ostentor angelegt, wo es freies Gelände genug gab. Es stand noch kein einziges Haus hier. Und von Beginn an wurde die Trennung nach Konfessionen aufgehoben, Angehörige beider großen Konfessionen durften auf diesem „kommunalen“ Friedhof beigesetzt werden.
Abb. 1: Vor dem Ostenthor: die Straße nach Hamm. Der Totenhof wurde 1810 rechts von dieser Straße angelegt.
Doch zeigte sich schon nach wenigen Jahrzehnten, daß ein ungeeignetes Grundstück ausgesucht worden war. Der Grundwasserstand war zu hoch. Die Särge lagen im Wasser, Leichengift drang in den Boden und, viel schlimmer, da es noch nicht für alle eine zentrale Wasserversorgung gab, ins Grundwasser ein. Wurde eine Begräbnisstelle geöffnet, trieb der Sarg an die Oberfläche, schwamm im Wasser. Dieser Friedhof mußte geschlossen werden. Das geschah 1866. Ein neuer Friedhof wurde am damaligen Overberger Weg angelegt, der Haupteingang befand sich an der Münsterstraße, das ist der heutige „alte Friedhof“.* Das ist, kurz gesagt, die Vorgeschichte zum Kamener Stadtpark.
Was aber sollte man mit dem gerade geschlossenen Friedhof anfangen? Dort lagen die Toten eines halben Jahrhunderts. 25 Jahre lang durfte vertraglich die Totenruhe nicht gestört werden, und natürlich mußte man auch aus Gründen der Pietät abwarten, bis das Gelände auf neue Weise genutzt werden konnte. Daher beschloß der Stadtrat erst 1891, dieses Gelände in einen Stadtpark umzuwandeln. Man ging gleich daran, „Anpflanzungen vorzunehmen und Wege anzulegen“ (Chronist Pröbsting, 1901). Der neue Stadtpark wird von den Kamenern gleich angenommen. Sonntagnachmittags gingen Familien dort spazieren, anschließend auch in eine der vielen Kamener Gaststätten oder in einen Biergärten, um Kaffee und Kuchen und anderes zu genießen, oder auch, besonders beliebt, sofern man es sich leisten konnte, eine Schinkenstulle: Bauernbrot mit westfälischem luftgetrocknetem Schinken.
Abb. 2: Die Annonce zur Pflanzung der Körnereiche: Wenn gefeiert wurde, dann richtig. Mit Nutzen für die Öffentlichkeit.
Wie sehr der neue Stadtpark den Kamenern gefiel, sieht man auch daran, daß schon am 14. Juni 1894 (Camener Zeitung) der „Turnverein zu Camen“ (also der 1854 gegründete VfL, hier der „älteste Turnverein unserer Provinz“ genannt) anläßlich seines 40jährigen Bestehens mit großem Pomp der Stadt eine „Körnereiche“ übergab, die bereits am 23. September 1891, dem 100. Geburtstag Theodor Körners (vgl. Art. Körnerstraße), gepflanzt worden war (und zugleich legte man auch einen Gedenkstein vor diesem Baum nieder).
Abb. 3: Die Körnereiche an der Schnittstelle der drei Hauptwege durch den Stadtpark
In der Zwischenzeit veranstaltete der Turnverein eine Sammlung, Auktionen, verkaufte Festzeitungen, verwendete „Strafgelder“ (wo die auch immer herkamen) und füllte den Restbetrag aus der Vereinskasse auf, damit der Baum einen würdigen Rahmen bekam. „Herr Steinhauermeister Eilentrop übernahm die Steinmetzarbeiten, Herr Schlossermeister Frieling stellte das geschmackvolle, schön gearbeitete Gitter her und Herr Malermeister Klatt machte den Anstrich.“ (Camener Zeitung, 20. Juni 1894; auf dem Photo in „Kamen in alten Ansichten“ gibt es dieses Gitter nicht mehr und es ist auch nicht ganz klar, was der Steinhauermeister für Arbeit zu erledigen hatte.) Als dann der Festzug mit Fahnen und Musik am Stadtpark eintraf, waren die städtischen Behörden mitsamt dem Bürgermeister Adolf von Basse bereits vor Ort. Dieser nahm die Eiche dankend für die Stadt in Empfang und schloß seine Ansprache „mit einem dreifachen Hoch auf Se. Majestät den Kaiser“ (Camener Zeitung, desgl.).
Abb. 4: Goldmünze mit dem Porträt Kaiser Wilhelms I.
Gleich am nächsten Tag begann der Turnverein, mit einer neuen Auktion wieder Geld zu sammeln. Man war auf den Geschmack gekommen, wollte den neuen Stadtpark weiter verschönern. Es dauerte allerdings bis zum Jahre 1900, bis das gelang.
Abb. 5: Bauzeichnung des Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Brunnens
Da wurde „ein kleines Denkmal zum Gedächtnis unseres lieben alten Kaisers Wilhelm I. aufgerichtet. Es ist der Kaiser-Wilhelms-Brunnen, der durch freiwillige Liebesspenden zustande gekommen und mit dem Medaillonbild des Kaisers geziert ist“. (Stadtchronist Pröbsting, desgl.) Es war die Zeit, als das Lied „Wir wollen unsern alten Kaiser Willem wiederham“ populär wurde. Leider verfiel dieser Brunnen während der Weimarer Republik, Kamen war arm, man hatte keine Geld, ihn zu reparieren. Das taten erst die Nazis, doch währte das Glück nur kurze Zeit. Im Krieg wurde es zerstört und nicht wieder aufgebaut. Heute ist Kamen eine denkmalarme Stadt.
Abb. 6: Brunnen zum Gedächtnis an „unsern alten Kaiser Willem“
Abb.7: Beschriftung der Bauzeichnung zum Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Brunnen
So ist Kamen an einen Stadtpark gekommen, der, entgegen seinem Namen, außerhalb der eigentlichen Stadt liegt. Heute macht er nicht den Eindruck, als sei er das Hätschelkind der Stadtverwaltung. Dort, wo der Körner-Gedenkstein lag, steht eine große Eiche, mitten im Kreuzungspunkt der drei durch den Park führenden Hauptwege. Das kann nur die Körner-Eiche sein, doch ist sie nicht kenntlich gemacht. Kein Gitter ist mehr zu sehen. Nichts deutet mehr darauf hin, daß diese Stelle 1894 der Mittelpunkt der Kamener Stadtverschönerung war.
Der Körnerstein lag bis vor kurzem mitten im Park, an der zentralen Weggabelung, vor der Eiche, doch ist er unscheinbar, die Schrift kaum zu lesen, und weil er gern von Hunden an Stelle eines Baumes benutzt wurde, schaffte man ihn fort, in die Sicherheit des Stadtmuseums. Spaziergänger sieht man im Stadtpark nicht, Fußgänger wie auch Radfahrer benutzen ihn nur als Abkürzung auf ihrem Weg in die Stadt und zurück. Pflege beschränkt sich auf Rasenmähen. Bloß ein hübscher bunter Streifen von Osterglocken und Krokussen zeigt im Frühling, daß der Stadtpark noch nicht ganz vergessen ist.
Ob man ihn nicht doch wieder reaktivieren könnte?
Nachtrag:
Das bronzene Medaillon stammt aus der seinerzeit sehr bekannten Gladenbeck’s Bronze-Gießerei in Friedrichshagen bei Berlin, aus der so bekannte Denkmäler stammen wie die Victoria auf der Siegessäule in Berlin, Alexander von Humboldt in Philadelphia/USA oder die Luther-Denkmäler in Berlin, Eisleben, Erfurt und Hannover und viele andere überall auf der Welt und eben auch das Medaillon in Kamen, das aber leider mit dem ganzen Denkmal verschwunden ist. Und es ist unbekannt, wann es abgerissen wurde. Weder das Bauarchiv noch das Stadtarchiv verfügen über Kenntnis darüber. Und schon das Photo im Band „Kamen in alten Ansichten“ zeigt den Brunnen ohne das Medaillon. Lt. Rechnung vom 28. Maerz 1900 war der Preis 380 Mark. Wohl gibt es im Stadtarchiv die Archivalie zu diesem Denkmal, mit Rechnungen und einer präzisen Bauzeichnung. Doch selbst hier hat ein früherer Benutzer (?) die Abbildung des Medaillons aus der Zeichnung herausgekratzt. Hat hier an Anti-Monarchist, vollständig den Sinn eines Denkmals verkennend, sein Unwesen getrieben, auf der Zeichnung und im Stadtpark?
Die Steinarbeiten wurde von der Firma Schulte-Oestrich & Hilgenstock Nachfolger, Inh. Peter Gross, Camen, durchgeführt. Deren Rechnung vom 30. April 1900 betrug 1535,02 Mark. Eine weitere Rechnung datiert von 1908, jetzt heißt es natürlich schon Kamen. Eine Firma dieses Namens gibt es übrigens heute noch in Bochum. Und da sie 1895 gegründet wurde, könnte es da einen Zusammenhang geben.
* Er war zunächst auch von den Overbergern genutzt. Erst 1872 erwarb die Gemeinde Overberge weiteres Land und bekam dann einen eigenen Friedhof.
(Abb. 0: Photo KH; Abb. 1, 2, 5, 6 & 7: Stadtarchiv; Abb. 4: Wikipedia; Abb. 3: Photo Klaus Holzer)
KH