von Klaus Holzer, auf der Grundlage eines Artikels von Edith Sujatta
Bollwerk
Es gibt zwei Möglichkeiten für die Entstehung einer Stadt, die eine ist die Gründung durch einen Grundherrn, wie zum Beispiel Lippstadt (früher Lippe). Hier fand Graf Bernhard einen strategisch günstigen Ort, um seine Stadt zu gründen. Dann gibt es Orte, die sich aus einer besonderen Situation heraus entwickelten, an Furten, Brücken oder Wegkreuzungen. Hier treffen sich Menschen, die Überwege müssen begehbar gehalten werden, diese Engstellen sind gefährlich, sie müssen gesichert werden. So hat es in Kamen angefangen.
Abb. 1: Nur Kamen liegt wegen der Besiedelung an der Furt südlich wie nördlich der Seseke
Die Straße „Am Bollwerk“, seit 1928 so benannt, ist eine ehemalige Torstraße, die durch das „Wünnentor“1 aus der Stadt herausführte, das älteste Stadttor, das aber schon 1660 abgebrochen wurde.
Abb. 2: Blick von der Vinckebrücke: etwas unterhalb der Ziegelmauer war die Furt, Kern Kamens
Bollwerk kommt von „Bohl(en)werk2 und bedeutet hier eine kleine Brücke über die flache Seseke und einen mit Bohlen ausgelegten Steg über den dahinter liegenden Sumpf, „Die lange Brücke“. Dieses „Bohl(en)werk“ war natürlich für die Reisenden nicht mehr erkennbar, wenn die Seseke, was sie oft tat, Hochwasser führte. Damit er aber seinen Überweg dennoch finden konnte, steckten die „Betreiber“ dieses Überganges links und rechts des Weges lange Stecken in den Sumpf, so wie es in Schneeregionen heute noch gemacht wird. Das übliche Hochwasser, zweimal im Jahr, floß in den tiefer gelegenen Süden, Richtung Unna. Wenn es wieder ablief, hinterließ es ein Sumpfgebiet. Dies ist auch der Grund dafür, daß sich die Menschen auf der nördlichen Seite der Seseke niederließen.
Der Knüppeldamm mußte ständig repariert, mit neuen Holzlagen erneuert werden. Wer macht das schon umsonst? Also mußte der Reisende eine „Maut“ bezahlen, wohl meistens mit Naturalien. Was lag da näher, als weitere Dienste anzubieten? Reparaturen an Wagen und Pferdegeschirr, etwas zu essen, ein Lager für die Nacht. Und dafür brauchte man natürlich weitere Leute, die mithalfen. So entstand fast ganz von allein der Kern einer kleinen Siedlung.
Solch eine Siedlung zog auch immer marodierende Banden an. Für die Sicherheit, aber auch einfach der besseren Übersicht über das schwierige Gelände halber, baute man hier zuerst eine sogenannte Motte, einen künstlichen Hügel, von Wasser umgeben, mit einer sogenannten Bohlenburg, einem Turm aus Holz, oft auf einem Steinsockel. Die Reste dieses Turms sind noch hinter dem ev. Gemeindehaus zu sehen. Hier saßen nun die germanischen „Edelinge“, kassierten Wegezoll und hielten Wache. Die Arbeit an der Brücke war wohl eher die Aufgabe der Hörigen.
Abb. 3: So ungefähr muß man sich die „Motte“ vorstellen (Abb. zur Verfügung gestellt von Edith Sujatta)
Abb. 4: Ein Stück der ältesten Mauer Kamens, vor 1100
Abb. 4a: Detail der ältesten Mauer
Im Mittelalter entwickelte sich aus dem sicheren, aber als Wohnung höchst unbequemen, weil kalten und zugigen, Turm die erste Burg mit ihren Wirtschaftsgebäuden, später nach ihren jeweiligen Besitzern genannt, z.B. Wetholz’scher Hof. In unmittelbarer Nähe entstand später die Grafenburg am heutigen Kirchplatz, die wiederum mehr Schutz bot, Bedarf an weiteren Handwerkern hatte und damit zur Keimzelle der späteren Stadt Kamen wurde.
1 Das „Wünnentor“ führte auf die städtischen „wünnen“, die Wiesen.
2 Das „Bohl(en)werk“ wanderte im Laufe der Jahrhunderte nach Westen, über die Niederlande nach Frankreich. Als Baron Haussmann in der Mitte des 19. Jh. Paris zu der modernen Metropole ausbaute, die wir heute kennen, legte er breite, von Bäumen gesäumte Straße an, die er, in Anlehnung an das Aussehen der „Bohl(en)-werke“ „boulevards“ nannte. Kurze Zeit später wanderte dieses neue, nunmehr französische, Wort wieder als Boulevard zurück zu uns.
Abbildungsnachweis:
Abb. 0,2,4 & 4a: Klaus Holzer; Abb. 1: nach Theo Simon, Kleine Kamener Stadtgeschichte, Kamen 1982; Abb. 3 zur Verfügung gestellt von Edith Sujatta
KH