von Klaus Holzer
Seit geraumer Zeit läuft die öffentliche Diskussion, wie das Sesekeufer in der Innenstadt in Zukunft aussehen soll. Es gibt die Gegner, die darin nur Geldverschwendung sehen können, und es gibt die vehementen Befürworter, die darin die Chance erkennen, Kamen zukunftsfähig zu machen, was angesichts der Herausforderungen durch die demographische Entwicklung dringend nötig erscheint.
Was bisher noch gar nicht zur Sprache gekommen ist, betrifft alles das, was sich in dem Bereich bereits befindet: der Baum, den „DIE KAMENER JUGENDLICHEN [alle?] FÜR FRIEDEN UND VÖLKERVERSTÄNDIGUNG – NIE WIEDER KRIEG“ am 1. September 1989 gepflanzt haben, der Kampmannsche Bleier und das Mahnmal von Otto Holz. Was kann, was soll, was wird mit ihnen geschehen?
Am leichtesten fällt die Entscheidung über den Baum. Der läßt sich integrieren, gleichgültig, wie die Gestaltung im einzelnen aussehen wird. Einen gewissen Aufwand wird Kampmanns Bleier erfordern. Er wird wohl einen neuen Standort finden müssen, kann dann aber wieder in ihm angemessener Weise auf einen senkrechten Pfosten zu stehen kommen, wodurch die gegenwärtig unbefriedigende Präsentation korrigiert werden kann.
Lothar Kampmann, Kömscher Bleier (1968/2013)
Photo: Klaus Holzer
Otto Holz‘ Mahnmal von 1953 stellt ein größeres Problem dar. Das fängt schon damit an, daß offenbar viele, vor allem jüngere, Kamener gar nicht wissen, woran es erinnern soll. Auch wenn für manche der Gedanke naheliegt – es steht nicht für die Opfer des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in Ostberlin, sondern erinnert an diejenigen Deutschen, die zu jener Zeit noch in Kriegsgefangenschaft waren. Im Verlaufe des Jahres 1953 entwickelte sich in der bundesdeutschen Bevölkerung immer stärker das Gefühl, daß es im neunten Jahr nach Kriegsende nicht immer noch Kriegs– und Zivilgefangene in Ländern der Alliierten geben dürfe, vor allem in der UdSSR, wo, wie der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer am 2. Oktober erklärte, Männer und Frauen „immer noch der Stacheldraht umschließe und die sowjetische Posten bewachen“. „Die meisten von ihnen waren unter den groteskesten Vorwänden in den Jahren 1950 und 1951 zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt und zu Kriegsverbrechern gestempelt worden.“ (WR, 2.10.1953)
Daher fand vom 17. – 25. Oktober 1953 eine bundesweit begangene Kriegsgefangenen-Gedenkwoche statt, die offenbar im ganzen Land große Zustimmung erfuhr. In dem bundesweit veröffentlichten Appell hieß es: „Wir selber wollen aus dieser Hoffnung heraus nicht müde werden, vor der Weltöffentlichkeit zu mahnen, zu bitten und zu flehen und zum Herrgott zu beten, daß, wenn manche Machthaber der Welt nicht helfen können und andere gar wider uns und unsere Gefangenen sind, er sich unser erbarmt.“
Schon im Sommer 1953 hatte der Rat der Stadt Kamen auf Antrag des Heimkehrer-Ortsverbandes den Beschluß gefaßt, „für alle noch in den alliierten Gewahrsamsländern zurückgehaltenen Kriegs– und Zivilgefangenen“ ein Mahnmal zu bauen und auch gleich den Auftrag dazu erteilt. Der erste Spatenstich erfolgte am 2. Oktober durch Erich Reichert, einen Kamener, der gerade erst, im September 53, aus sowjetischer Gefangenschaft heimgekehrt war. Wenige Tage später, am 13. Oktober, kam auch der Südkamener Paul Kollin zurück, Bruder des bekannten Kamener CDU-Politikers Ewald Kollin. Zur gleichen Zeit verkündete die Stadt Kamen, daß alle Spätheimkehrer zusätzlich zu der von der Bundesrepublik gezahlten Wiedereingliederungshilfe auch von ihrer Heimatstadt DM 250,– in bar erhalten sollten.
Mit dem Entwurf für dieses Mahnmal wurde Otto Holz beauftragt, Kunstlehrer am Städtischen Neusprachlichen Gymnasium Kamen. Dieser war ein Künstler, der radikal mit der traditionellen Kunst gebrochen hatte. Pathos und die Glorifizierung von Heldentum waren ihm fremd. Daher entsetzte sein Kunstwerk (ja, in diese Kategorie gehört das Mahnmal) viele Kamener, die etwas Traditionelles erwartet hatten, etwa im Stile des Denkmals an der Waldstraße neben Grundhöfer in Overberge.
Otto Holz, 11. Juni 1907 – 15. April 1988
Photo: Archiv Klaus Holzer
Die Einweihung des Mahnmals am 25. Oktober 1953 zeigte, in welchem Maße ganz Kamen Anteil nahm. „Rund 4000 Teilnehmer bevölkerten den Sesekedamm und die Bahnhofstraße zur Zeit der Feierstunde“, schreibt die WR am einen Tag später. Der Posaunenchor spielte, Sprecher verschiedener Vereine und Verbände appellierten an die „Gewahrsamsmächte“ und das „Weltgewissen“, die Gefangenen aus ihrer Rolle als „politisches Wechselgeld“ zu entlassen.
Pfarrer Busch und Pfarrer Rawe schlossen sich an, Erich Reichelt rief dazu auf, „die Brücke zwischen Heimat und Gefangenen nicht zusammenbrechen zu lassen“. Dann nahm Bürgermeister Rissel „das Mahnmal mit einem Appell an die Friedensbereitschaft der Welt in die Obhut der Stadt“. (WR, 26.Okt.1953)
Otto Holz, Mahnmal „Vergesst uns nicht“, 1953
Photo: Klaus Holzer
Einweihung des Mahnmals von Otto Holz am 25. Oktober 1953
Photo: Stadtarchiv Kamen
Denk– und Mahnmale haben die Funktion, die Menschen an Dinge zu erinnern, die einschneidende Ereignisse in ihrer und der Geschichte ihrer Nation darstellen, sie vor dem Vergessen zu bewahren. Ihre Form verrät viel über den Geist ihrer jeweiligen Entstehungszeit und bewahrt so, über den historischen Anlaß hinaus, auch das künstlerische Ausdrucksvermögen ihrer Epoche. Das gilt in ganz besonderem Maße für Otto Holz‘ Mahnmal am Sesekedamm. Es verdient einen besonderen, einen würdigen Platz am neugestalteten Sesekeufer. Aber vielleicht ist alles auch ganz einfach, scheint es doch so, als ob Baum und Mahnmal eine Einheit bilden. Hoffen wir, daß Kamens Rat eine weise Entscheidung fällt.
Das Ensemble aus Mahnmal und Friedenslinde
Photo: Klaus Holzer
KH