Die Kamener Künstlergruppe „gruppe schieferturm“
Das Wort „Gruppe“ war Ende der 1950er Jahre beileibe kein so modisches Wort wie heute, da alles und jedes eine „Gruppe“ ist, oft auch eine „Group“. Zuerst nannten sich die drei Kamener Jungs – Heinrich Kemmer (HK), Helmut Meschonat (HM) und Ullrich Kett (UK) – die sich der Kunst widmen wollten, „malkasten schieferturm“, was bestimmt auch damals schon nicht nach Avantgarde klang, eher nach den von allen Schulkindern malträtierten Malkästen, die vor allem von der Firma Pelikan stammten.
Die Kamener Künstlergruppe „Gruppe Schieferturm“:
Heinrich Kemmer, Helmut Meschonat, Ullrich Kett, 1962
Das Wort „Gruppe“ war Ende der 1950er Jahre beileibe kein so modisches Wort wie heute, da alles und jedes eine „Gruppe“ ist, oft auch eine „Group“. Zuerst nannten sich die drei Kamener Jungs – Heinrich Kemmer (HK), Helmut Meschonat (HM) und Ulrich Kett (UK) – die sich der Kunst widmen wollten, „malkasten schieferturm“, was bestimmt auch damals schon nicht nach Avantgarde klang, eher nach den von allen Schulkindern malträtierten Malkästen, die vor allem von der Firma Pelikan stammten.
Mit „schieferturm“ verbanden die drei auch einen kleinen Scherz, war doch der schiefe Turm der Pauluskirche damals auch schiefergedeckt. Gemeint war der allerdings nicht, sondern eher das kleine, zufällig schiefergedeckte Türmchen am alten Amtsgericht, dem Domizil der Gruppe (s.a. weiter unten). Und weil sie sich eben nicht auf den „Schiefen Turm“ der Pauluskirche beziehen wollten, schrieben sie die beiden Worte in eins, und die Betonung wechselte von der zweiten auf die erste Silbe. Der Namenswechsel von „Malkasten“ nach „Gruppe“ kam dann, als die Ausstellungen anspruchsvoller wurden, die drei im Ausland bekannt wurden.
Diese Gruppe fing bald an, eigene Ausstellungen zu organisieren, und die erste Ausstellung 1959 ist wohl auch ihr Entstehungsdatum unter diesem Namen. UK erinnert sich und kommentiert heute: „Es war die prinzipielle Unbescheidenheit von Laien.“ Organisation verlangt Arbeit, Zeit, Verbindungen, Verhandlungen, für 18jährige eine große Herausforderung. Doch da gab es in ihrem Umfeld Emile Künsch, einen umtriebigen Luxemburger, den es nach Kamen verschlagen hatte.
Emile Künsch, der Manager der Gruppe
Er organisierte gern und nahm sich ebenso gern der Künstlergruppe Schieferturm an. Er sorgte dafür, daß die drei ein Atelier fanden, was umso leichter fiel, als der damalige Stadtdirektor Fritz Heitsch selber künstlerisch tätig war und daher Verständnis für den Nachwuchs hegte.
Fritz Heitsch, Stadtdirektor, Künstler, Gönner
So kam die Gruppe dazu, sich den Dachboden des damaligen Amtsgerichts, des heutigen Hauses der Stadtgeschichte, herrichten zu dürfen und verfügte von da an über einen künstlerischen Treffpunkt, der wesentlich dazu beitrug, daß ihre Freundschaft sich festigte (vgl.a. Artikel über Fritz Heitsch).
Eine Ausstellung der Gruppe vom 19. bis 25. Oktober 1964 im Zeichensaal der Glückauf-Schule erregte in zweierlei Hinsicht besonderes Aufsehen.
Lothar Kampmann, Künstler und Förderer
Zum einen kritisierte der Eröffnungsredner, Prof. Lothar Kampmann (LK), die Stadt Kamen heftig, weil sich kein Vertreter von Rat und Verwaltung sehen ließ: „Bei Rassehunde– und Angorakaninchenausstellungen, da glaubt man, die Verbundenheit mit den Arbeitern bekunden zu können. Auch Künstler sind Arbeiter, nur mit dem Unterschied, daß sie auch noch mit dem Kopf was tun.“ Und daß die Stadt die Gruppe mit Geld unterstützt hatte, entlockte ihm nur ein knurriges: „Geld ist das wenigste. Und ich sehe gar nicht ein, daß sich die Künstlergruppe kniefällig für Almosen bedanken muß.“ Und selbst für die großzügige Geste der Stadt durch Stadtdirektor Heitsch, der Gruppe den Dachboden des Amtsgerichts zur Verfügung zu stellen, hatte LK nur einen ätzenden Kommentar übrig: „Das ist ein makabrer Ort, das Dachgeschoß eines Amtsgerichtsgefängnisses. Damit zeigt man, daß die Künstler außerhalb gesellschaftlicher Rangordnungen stehen.“ Immerhin erschienen, wenngleich verspätet, zwei Vertreter der Stadt, Stellvertretender Bürgermeister Hans Achtabowski und Jugendpfleger Edgar Hirt. So nahm die Veranstaltung dann in dieser Hinsicht doch noch ein versöhnliches Ende. Und im Verlaufe der Ausstellungswoche kamen auch noch Bürgermeister Beckmann, Ratsmitglied Fritz Rethage und Oberamtmann Bäcker in die Glückaufschule.
Zum anderen trat Kampmann aber auch einer in der Öffentlichkeit verbreiteten Unkenntnis und einem Mißverständnis entgegen: „Aus allen Länderecken hört man, daß das Gegenständliche wiederkommt, die Befassung mit dem Gegenstand wieder modern wird. Dann ist diese Ausstellung ja unmodern. Dem liegt ein Denkfehler zugrunde. Wer ‚Gegenstand‘ gehört hat, soll ‚Gestalt’ denken, und wer ‚Natur‘ gehört hat, soll sie als Inbild und Abbild verstehen. In den ausgestellten Bildern kommt das Elementarische, das hinter dem hantierbaren Gegenstand steht, zum Ausdruck. Die Künstler wollen nicht den groben, klobigen Gipsabguß oder die Nachzeichnung, damit sind sie nicht zufrieden. Sie befassen sich vielmehr mit der neuen Wirklichkeit, was für den Künstler ebenso schwer ist wie für den Betrachter.“ Er wunderte sich, daß die ausstellenden Künstler überhaupt noch in Kamen zu sehen seien statt in Berlin oder Kassel. „Provinzler können hier nicht kaufen, sondern nur Menschen, die eine künstlerische Tat suchen.“ Kunst war wohl damals wichtig, verursachte sie doch wiederholt breite öffentliche Diskussionen (vgl.a. Artikel über Helmut Meschonat und den „Gemäldeskandal von Unna“)
von links: Ulrich Kett, Helmut Meschonat; von rechts: Emile Künsch, Dr. Krabs, Kreisdirektor und Förderer der Gruppe, Heinrich Kemmer bei der Ausstellung in Esch, Luxemburg
Freundschaft war die Grundlage der Gruppe, denn es gab keine förmliche Mitgliedschaft. Die drei verbrachten viel Zeit miteinander, sofern sie nicht beruflich getrennt waren. Sie malten, um sich künstlerisch entwickeln zu können, doch vor allem UK war es, der sich auch praktisch nützlich machte. Er malte Plakate! Wo gab oder gibt es das? Seit Toulouse-Lautrec unerhört! Ein Künstler malte jedes der 10 Plakate einzeln, mit wechselnden Motiven und Farben, die in der Regel Konzerte oder Tanztees (so hieß das damals) der recht beliebten Kamener Dixielandband „die primitiven“ (so hießen die wirklich; einen englischen Namen, wie sie schon für Jazzbands in Mode waren, wollten sie nicht) bei Bergheim ankündigten. Ob wohl noch ein paar solcher Plakate existieren? In irgendeinem Partykeller in Kamen? Populär genug waren die Band und UK und seine Plakate.
Und natürlich verbrachten sie nicht nur die Tage miteinander. Kamen war zu der Zeit die Stadt im Ruhrgebiet mit der höchsten Kneipendichte (1 Kneipe auf 260 Einwohner!), und es gab auch etliche eher anrüchige Etablissements. Klar, daß die drei die Kneipenszene nutzten, um realistische Detailstudien zu treiben, aus denen dann abstrakte Gemälde wurden, eine Art neuer, künstlerischer Wirklichkeit. Schließlich malte damals jeder Künstler, der „modern“ sein wollte, abstrakt. Und bei HK geronnen diese zu Skulpturen, die sich „an die alten Wurzeln antiker Bäume anlehnen.“ (Galeriedirektor Kahn zur Eröffnung einer Ausstellung der Gruppe in Dallas, Texas, 1967)
Aber die reale Realität nagte auch an dieser Künstlergruppe. Etwas zeitversetzt begannen HK, UK und HM ihr Kunststudium, erst an der Werkkunstschule Dortmund, dann an der Hochschule, später Universität der Bildenden Künste in Berlin. Nur HK blieb in Dortmund. So konnten sie sich nur noch während der Semesterferien sehen, was natürlich kein kontinuierliches gemeinsames Arbeiten und Gestalten mehr erlaubte. Statt Gruppen– gab es nun vermehrt Einzelausstellungen. Und es kam eine Entfremdung von Emile Künsch hinzu, der dann zu „Emil“ wurde. Allerdings hat sich die Gruppe nie förmlich aufgelöst. Heinrich Kemmer starb am 2. April 2014 in Hamminkeln. Ullrich Kett und Helmut Meschonat sind also eigentlich noch immer die originale „Künstlergruppe Schieferturm“.
Die heutige Gruppe „Künstlerbund Schieferturm“ hat nichts mit der alten Gruppe zu tun, aber der Name ist für eine Kamener Gruppierung wohl zu naheliegend. Die heutige Gruppe „Schieferturm“ hat sich diesen Namen zugelegt, wußte vielleicht nichts vom Original.
Künstler, die mit der alten „gruppe schieferturm“ ausstellten, einige von ihnen mehrmals:
Rolf Birkner, Dortmund
Gabriele Elger, Kamen
Jürgen Gramse, Dortmund
Fritz Heitsch, Kamen
Gerhard Hoberg, Heeren
Gerhard Knoblauch, Berlin
Karl-Heinz Krüger, Fröndenberg
Ludwig Loschek, Kamen
Jörg Poppe-Marquardt, Berlin
Heinz Potthast, Kamen
Frühe Ausstellungsorte waren:
Schulen in Kamen;
In der Burg, Unna;
Galerie Pater, Mailand;
Städt. Galerie Esch, Luxemburg;
Kunst im Turm, Uni Dortmund;
Contemporary Fine Arts Gallery, Dallas, Texas
Gönner „in schwerer Zeit“ (UK):
Dr. Carl Baenfer, Landesmuseum Münster
Prof. Lothar Kampmann, Kamen
Dr. Krabs, Kreisdirektor Unna (ganz besonderer Förderer)
Emile Künsch, Kamen
Fritz Heitsch, Stadtdirektor in Kamen
Horst Schulze Bramey, Stadtbaumeister Kamen
KH