Raum der Erinnerung

„Raum der Erinnerung“

DEZMUS 2

Wir leben in einer globalisierten Welt, in der dem Einzelnen hohe Mobilität abverlangt wird: Wenig ist von Dauer, der Wandel ist stetig. Die früher übliche lebenslange Bindung an eine Stadt, einen Arbeitsplatz, scheint obsolet. Gerade die junge Generation, mit dem Internet aufgewachsen, findet es immer schwerer, Wurzeln zu schlagen. Ihre Welt ist oft nur noch die virtuelle Welt. Es wird immer schwerer, dauerhafte Bindungen einzugehen.

In dieser Situation ist zu beobachten, daß mehr und mehr Menschen offenbar das Bedürfnis haben, sich an ihre Herkunft zu erinnern, sich ihrer zu vergewissern. Es besteht ein starkes Interesse an Familienforschung, der Herkunft und Bedeutung des eigenen Namens, an Heraldik (Familien legen sich wieder Wappen zu) und Stadt– wie auch Regionalgeschichte (Gesprächskreise wie die Kamener Arche oder Bergkamener Zeitzeugen u.a.), Heimat– und Geschichtsvereine haben Zulauf, Archive öffnen sich einer zunehmend interessierten Öffentlichkeit.

Dieser Strömung will der Kultur Kreis Kamen im Rahmen eines Projekts eine Stimme geben. Arbeitstitel:

„Raum der Erinnerung“

(weitere mögliche Titel: „Zeitinseln“ oder „Geschichte/Vergangenheit/Erinnerung im Schuhkarton“)

DEZMUS 1

Hier soll Erinnerung persönlich verstanden werden. Es geht nicht um die „große“ Geschichte wie Kriegserklärungen, Schlachten, das Verhältnis von Staaten zueinander, sondern darum, wie der Einzelne seine Erinnerung an die Vergangenheit mit konkreten Dingen füllt. Das kann sein:

  • eigene oder in der Familie aufbewahrte und weitergereichte Tagebücher
  • Photos
  • verschickte Postkarten (z.B. aus dem ersten Italienurlaub, mit Touropa hingefahren)
  • altes Gerät, das in der Familie eine Rolle gespielt hat (z.B. das Waffeleisen aus der Kindheit, die Wärmflasche usw.)
  • die Fahrkarte des (ersten) Gastarbeiters in Kamen in die neue Heimat oder die für seine (erste) Reise zurück in die alte Heimat
  • die Schreibmaschine, auf der die (erste) Geschichte/das (erste) Gedicht geschrieben wurde, inzwischen durch einen Rechner ersetzt
  • das Glöckchen, das Kinder an Heiligabend zur Bescherung rief
  • Weihnachten, wie es in der Erinnerung fortlebt
  • Familienbräuche im Wandel der Zeit
  • der Koffer, mit dem jemand als Flüchtling in Kamen ankam
  • die Zeitung, die ein besonderes Datum für die Stadt markiert
  • das erste Handy/der erste Rechner und wie sich das Leben dadurch veränderte
  • Schulzeugnisse mit Fächern, die es nicht mehr gibt (z.B. Schönschreiben und ein Heft dazu)
  • das Buch, das einem Soldaten während der Kriegsjahre zum Trost diente, ihm half, zu überleben
  • die Decke, in die jemand als Kind eingehüllt war, als die ganze Familie zusammen mit Nachbarn wegen Bombenalarms ganze Nächte im Keller/Luftschutzbunker zubringen mußte
  • der Brief, den ein ehemaliger Kriegsgefangener oder Zwangsarbeiter an z.B. einen hiesigen Bauern schickte und in dem er ihm für gute Behandlung dankte
  • ein Souvenir aus dem ersten Urlaub

Und immer sind diese Dinge mit wichtigen Augenblicken oder Ereignissen im Leben einzelner verknüpft. Es lohnt sich, den Versuch zu unternehmen, solch einen „Raum der Erinnerung“ in Kamen zu schaffen. Genügend Häuser in der Altstadt, die vor dem Verfall stehen, gibt es (vgl. a. gesonderten Artikel „Dezentrales Museum“).

KH

Ein dezentrales Museum für Kamen!

Der Kultur Kreis Kamen regt an, in Kamen ein dezentrales Museum einzurichten. Es gibt in der Stadt Kamen relativ viele Leerstände. Alte Bausubstanz in der Kirchstraße, Weststraße, Oststraße, Nordenmauer, Am Geist und andernorts steht vor dem Verfall, ihr Abriß ist absehbar.

 

Nordenmauer 29 2 Kopie

Dem KKK schwebt ein dezentrales Museum für Kamen vor. Das bedeutet, daß im Museum an der Bahnhofstraße durch die Auslagerung einzelner Abteilungen in leerstehende Häuser in der Stadt Platz für eine bessere Präsentation der umfangreichen Bestände geschaffen werden könnte.

Kirchstraße 10 Kopie

Es ist vorstellbar, daß etwa die traditionsreichen Handwerke in Kamen, z.B. Schuhmacher und Leineweber, je ein eigenes Haus bekommen, wo sie in etwa der alten Art präsentiert werden könnten. Gleiches gilt für die Erinnerung an den Bergbau, die Germanen. Der im Haus der Stadtgeschichte freiwerdende Platz könnte anderweitig genutzt werden, z.B. auch, um aus dem umfangreichen Bestand des Archivs die „Urkunde des Monats“ der Öffentlichkeit vorzustellen. Zusätzlich könnte der Eingangsbereich publikumsfreundlicher gestaltet werden (Café, Museumsladen). Selbst eine Touristen-Information fände noch Platz. Solche Häuser könnten an einzelnen Tagen pro Woche geöffnet sein und während dieser Zeit von Handwerkern, die sich mit alten Arbeitsweisen auskennen, betreut werden. Diese Arbeitsmethoden könnten demonstriert werden, Schulklassen (und andere) würden Dinge erfahren können, die dabei sind auszusterben. Des weiteren lassen sich in diesen Häusern viele weitere Veranstaltungen oder auch Mitmachaktionen für Schulklassen organisieren.

Am Geist 2 Kopie

Es möge hier genügen, darauf hinzuweisen, daß sich noch viele weitere Möglichkeiten ergeben werden, sobald solche Häuser in Betrieb genommen werden. Auf diese Weise könnten vom Abriß bedrohte Häuser in der Innenstadt gerettet und zu Schmuckstücken werden, Leerstände verhindert und mehr Leben in die Stadt gebracht werden. Diese Gebäude könnten eventuell auch Vereinen als Vereinsheime zur Verfügung gestellt werden, z.B. gegen die Auflage, sie zu pflegen und für die im Laufe der Zeit notwendig werdenden Reparaturen zu sorgen, zunächst mietfrei, später gegen eine maßvolle Jahresmiete. Diese Häuser könnten durch die Stadt angekauft werden. Gleichzeitig sollte es gelingen, große Teile der Kamener Industrie und des Handwerks hinter der Idee zu versammeln und sie zu bewegen, die Renovierung zu übernehmen. Durch eine geeignete Konstruktion wären diese Kosten steuerlich absetzbar. Erwünschter Nebeneffekt (oder Voraussetzung?) wäre ein höherer Grad der Identifizierung dieser Unternehmer mit ihrer Stadt Kamen. Im günstigsten Fall führte dieses Vorhaben zu einer breiten Bewegung auch in der Bürgerschaft. Das bedarf großer Anstrengungen seitens aller am Wohle der Stadt interessierten Stellen: Politik und Verwaltung, Vereinen, Gruppierungen und einzelner Bürger. Schwer, aber nicht unmöglich, wenn alle an einem Strang ziehen.

(Photos: KKK)

KH
Der Gedanke „Ein dezentrales Museum für Kamen“ läßt sich wunderbar weiterspinnen. Seit 80 Jahren ist bekannt, daß es in Kamen mit der germanischen Ausgrabungsstätte im Seseke-Körne-Winkel die wichtigste archäologische Fundstätte Nordwestdeutschlands für die Erforschung unserer Vorfahren gibt. Ein Symposion in der Kamener Stadthalle im Jahre 2009 unter der Leitung des heimischen Archäologen Dr. Georg Eggenstein stellte als Ergebnis fest, daß die Ergebnisse aus der Kamener Ausgrabung unser traditionelles Bild vom metsaufenden und keulenschwingenden Wilden dringend revidiert werden muß. Und seit langem ist klar, daß Kamen aus dieser Tatsache ein Juwel des kulturellen Lebens (und des Stadtmarketings) machen könnte. Müßte. Angeregt durch das Bergkamener Vorbild, wo man mehr als 15 Jahre brauchte, bis aus der ersten, belächelten, Idee tatsächlich eine römische Holz-Erde-Mauer entstand, liegen auch in Kamen Vorschläge vor. Der Heerener Ortsheimatpfleger Karl-Heinz Stoltefuß griff die Idee eines dezentralen Museums für Kamen des KKK auf und erweiterte sie um einen dreistufigen Vorschlag, den Seseke-Körne-Winkel zu einem Schwerpunkt der Kamener Geschichtsdiskussion zu entwickeln:

  1. Erstellung einer Sonderschau „Germanensiedlung“ im Dachgeschoß des Museums in der Bahnhofstraße;
  2. Pfostenabsteckung des germanischen Langhauses im Seseke-Körne-Winkel;
  3. Rekonstruktion des Langhauses.

germ. Langhaus Kopie

Photo: Stefan Milk, Hellweger Anzeiger

Der KKK hat bereits einen Schritt getan, um die Ausgrabungsstätte bekannter zu machen und eine Tafel mit der Geschichte und Abbildungen erstellt und das Projekt auf den Weg gebracht. Sie soll am Klärwerk stehen und wird Bestandteil einer Radrundfahrt sein, die zu weiteren historisch bedeutsamen Stellen in und um Methler herum führen wird. Aber alle, die sich an dieser Diskussion beteiligen, sind sich darüber einig, daß am Ende idealerweise der Nachbau des Langhauses stehen muß, und zwar in der Nähe der Originalfundstelle. Das wird jedoch dauern (vgl. Bergkamen). Daher schlägt der KKK als verhältnismäßig leicht zu verwirklichende Zwischenstufe den Nachbau eines offenen germanischen Speicherhauses vor, in dem Modelle des Langhauses, weiterer Gebäude, die bei den Untersuchungen des Geländes im Juli 2014 lokalisiert werden konnten, Kopien von Fundstücken usw. ausgestellt werden könnten. Auf diese Weise würde der Bedeutung des Ortes Rechnung getragen, Spaziergängern und Radfahrern, die heute schon in großer Zahl dort zu finden sind, ein lohnendes Ziel geboten und ein Prozeß in Gang gesetzt, der dazu führen könnte, daß mittel– bis langfristig dort ein Nachbau des germanischen Langhauses stehen würde, als Gegenüber zur Holz-Erde-Mauer auf dem Römerberg in Oberaden. In Bergkamen würde man sich sicher darüber freuen, spielte sich doch zwischen 11 und 8 v.Chr. zwischen diesen beiden Lagern ein reger Verkehr ab. Ohne die Germanen hätte es die Römer dort gar nicht gegeben.

KH