Am 10. April 2025, 13.10 Uhr, vor 80 Jahren, war der Zweite Weltkrieg in Kamen zu Ende

(Dieser Artikel ist eine Überarbeitung und Erweiterung des Artikels „Das Kriegsende in Kamen“ vom April 2015) 

von Klaus Holzer

„Der Angriff am folgenden Sonnabend ist der schrecklichste. … Wir liegen allein im Keller. … 25 qualvolle Minuten dauert der Angriff, Welle auf Welle, Verband auf Verband fliegt an. Man glaubt, die letzten Augenblicke seien gekommen.“ Das schreibt eine 16jährige Kamener Schülerin am 25. Februar 1945 in ihr Tagebuch. Und fährt am 10. April fort: „Heute früh rollen amerikanische Panzer ein. Infanterie war in unserem Keller. Ich hatte wohl Herzklopfen, aber zu uns waren sie sehr anständig.“

Die Amerikaner gingen mit ihren Gewehren im Anschlag durch alle Häuser auf der Suche nach Nazis, nach Wehrmachtssoldaten. Eine 22jährige Augenzeugin erinnert sich: „[Wir] waren im Luftschutzkeller des Nachbarhauses Burgstraße 5 und warteten auf den Einmarsch der feindlichen Truppen. Am Stadtrand wurde gekämpft. Einschläge von Granaten und Gewehrkugeln waren zu hören. Niemand traute sich vor die Tür. Alle hatten Angst. … Totenstille lag jetzt über der Stadt. Die Sonne schien strahlend vom Himmel. Da kamen plötzlich amerikanische Soldaten mit vorgehaltenen Gewehren vom Marktplatz her auf die Lämmergasse hinunter direkt auf unser Haus zu. … Der Amerikaner sagte zu uns: „Ich bin Jude“, und schaute uns böse an. Getan hat er uns nichts.“ Im Gegenteil gab es viel Schokolade und auch aus Armeerationen floß Essen an die Besiegten.

Beiden ist gemeinsam der Schrecken über den Krieg und die Ungewissheit über das, was kommen würde. Und die Erleichterung über das glimpfliche Ende, das von den Besatzern angesichts der Greueltaten der Nazis nicht zu erwarten gewesen war.

Vorausgegangen waren schwere letzte Gefechte. Nach den verheerenden Luftangriffen von Ende Februar und dem absehbaren Ende, nämlich der Niederlage Nazi-Deutschlands, errichtete der Kamener Volkssturm dennoch an allen großen Einfallstraßen mächtige Panzersperren, am Bahnübergang in der Nähe des damaligen Cafés Schneider, bei Jackenkroll an der Hammer Straße und auch auf der Lünener Straße. Besetzt wurden diese Sperren von alten Volkssturmmännern und Hitlerjungen, die in Schnellkursen notdürftig im Gebrauch von Panzerfäusten unterrichtet worden waren und keine Chance gegen die anrückenden Amerikaner hatten. Die Wehrmachtsoldaten hatten sich mit Zivilkleidung versorgt und viele eingefleischte Nazis aus Verwaltung und Politik hatten schon Fersengeld gegeben.

Noch in den letzten Tagen des Kriegs sprengten deutsche Soldaten die Autobahnbrücke an der Hammer Straße. Ein Soldat wollte mit seiner Panzerfaust die aus Hamm anrückenden Amerikaner aufhalten. Am (heutigen) Kreisel an der Hammer Straße/Oststraße wurde eine Panzersperre errichtet, aus allem, was sperrig war: Bäume, Eisen, Abfälle usw. Es hieß: Wenn die Amis kommen, dann lachen sie sich 10 Minuten lang kaputt, dann räumen sie sie in 10 Sekunden weg. Und so kam es dann auch.

Einzelne Wehrmachtssoldaten hatten in einem der Kastanienbäume in der Gartenstadt ein „Krähennest“ gebaut und von dort den ersten amerikanischen Panzer, als man ihn von dort aus erkennen konnte, mit einer Panzerfaust abgeschossen. Er mußte von dort abgeschleppt werden.

Und selbst, als allen klar war, daß der Krieg verloren war, gab es immer noch SS-Streifen, die in ihren Autos durch Kamen rasten und Fahnenflüchtige suchten. Viele Kamener fanden noch Anfang April anonyme Flugblätter in ihren Briefkästen und Vorgärten, in denen die SS-Leute denen Tod und Vergeltung androhten, die vor den anrückenden Feinden den „weißen Fetzen“ zum Fenster heraushängen würden. Mit den Fahnenflüchtigen machten sie im Trichter hinter der ehemaligen VfL-Turnhalle „kurzen Prozeß“, d.h., sie erschossen sie kurzerhand, ohne jedes Gerichtsurteil. Und weil Tiefflieger während des Tages auf alles schossen, was sich bewegte, mußten Kriegstote in der Morgendämmerung beerdigt werden. Ob die Oberste Heeresleitung gehofft hatte, daß Goethes Faust im Tornister der Soldaten neben Bildung auch Humanität vermitteln könnte? Dann hätte man vielleicht selber mit gutem Beispiel vorangehen müssen. Bei den auch in Kamen wütenden, mordenden SS-Banden war diese Hoffnung offensichtlich vergeblich.

Abb. 1: Hoffnung Goethe?

Anfang April vereinigten sich die 1. US-Armee von Norden und die 9. US-Armee von Süden kommend unter General Bradley bei Lippstadt, unterstützt von den aus Wesel kommenden Briten. Das bedeutete, daß das Ruhrgebiet eingekesselt war, der Zusammenbruch direkt bevorstand. US-Truppen rückten über Hamm und Overberge auf Kamen. Noch einen Tag vor der Übergabe Kamens beschoß die US-Artillerie die Stadt mit Stör- und Warnfeuer. Alle Kamener suchten Schutz in Kellern und Bunkern. Wer es schaffte, rannte in die Unterstände in der Bergehalde auf Grillo I/II. Dort fanden 4000 Menschen Schutz, immerhin an die 30% der Kamener Bevölkerung. Manche Kamener brachten wegen des Daueralarms und weil ihre Häuser beschädigt oder schon zerstört waren, mehrere Tage am Stück unter der Halde zu.

Ellen Schaub, eine alte Kamenerin mit phänomenalem Gedächtnis, 2021 84-jährig gestorben, erinnerte sich lebhaft an diese letzten Tage. „Wenn es Fliegeralarm gab, und das war gegen Kriegsende ziemlich oft, rannten wir, so schnell wir konnten, in den Keller des Nachbarhauses, zu den Grevels. Der war sicherer als unser eigener. Noch sicherer war freilich der von Dr. Diese, schräg gegenüber im Haus Nr. 10. Unter der ins Hochparterre führenden Treppe war eine kleine Tür, die in den Kohlenkeller führte. Dort paßten auch mehr Leute rein. Und wenn wir glaubten, genug Zeit zu haben, um uns richtig in Sicherheit zu bringen, ging es durch die Kirchstraße, über die Koppelstraße, an der Badeanstalt vorbei in den Hemsack. Dort mußten wir über die Seseke springen, dann konnten wir uns in den Zechenstollen flüchten. Oft war dort schon halb Kamen versammelt.“

Und auch wenn es dort immer eine Ausnahmesituation war, die menschliche Natur ließ sich doch nicht ändern. So erinnert sich Frau Schaub an eine stattliche Frau, Line, die selbst in einer solchen Situation, wo es doch ums bloße Überleben ging, noch auf ihren besonderen Stand bedacht war. „Ich erwarte einen Sitzplatz. Ich bin die Mutter eines Ritterkreuzträgers.“ Tja, was sollte man da machen?

Der Tag des Kriegsendes in Kamen war auch der Tag der Befreiung der vielen Zwangsarbeiter in der Region. Besonders schrecklich war der „Heerwurm“, der sich kurz vorher, am Karfreitag, 30. März 1945, von Lünen her durch Kamen bewegte, über die Koppelstraße und den Bahnübergang nach Heeren, 20 000 Gefangene und Flüchtlinge. Sie waren total zerlumpt, heruntergekommen und ausgehungert, oft nur mit Lappen an den Füßen. Über dem Zug hing bedrückend der Geruch von Karbol und Desinfektionsmitteln. Eskortiert wurde der schnell so genannte „Russenzug“ von ein paar Dutzend klappriger deutscher Landesschützen, erinnert sich der Journalist Otto Birkefeld später.

Abb. 2: Otto Birkefeld

Er war auch derjenige, der die Stadt Kamen am Dienstag, 10. April 1945, um 13.10 Uhr, den Amerikanern übergab. Dieser Tag war ein strahlender, wolkenloser Frühjahrstag, wie wir ihn gerade wieder erleben, alle Rolläden und Jalousien der Häuser am Markt  geschlossen, kein Mensch draußen, keine weiße Fahne zu sehen. Doch die bisher zahlreich an den Häusern hängenden Fahnen mit dem Hakenkreuz – das schwarze Hakenkreuz im weißen Kreis im roten Feld: schwarz-weiß-rot – waren plötzlich alle verschwunden, man bereitete sich auf die Nachkriegszeit vor, auf eine Karriere als – höchstens – Mitläufer, wenn nicht gar Widerständler. Und gewußt von den Greueln der 1000 Jahre hatte man natürlich nichts.

Am 11. April begann für Kamen die Nachkriegszeit. Aber noch in den letzten Stunden vor der Stadtübergabe fielen in der Stadt durch Kampfhandlungen aus der Luft 12 Soldaten und bei Erdkämpfen auf Plätzen und Straßen 23 Soldaten und Volkssturmmänner. „Die Verluste der Amerikaner beliefen sich noch nicht auf ein halbes Dutzend Mann,“ erinnert sich Birkefeld.

Birkefeld befand sich an diesem Dienstag zusammen mit einem Polizeileutnant und zehn Mann im (alten) Rathaus. Bei ihnen befand sich noch eine Angestellte des Standesamtes, die immer wieder die Luftalarmsirene bediente. Als die Besatzung des Rathauses die amerikanischen Panzer, aus der Weißen Straße kommend, langsam, aber laut rasselnd auf den Markt vorrücken sah, wußte zuerst keiner, was nun zu tun war. Dann sagte der Polizeioffizier zu Birkefeld: „Sie sprechen doch Englisch. Gehen Sie mal dahin und sprechen Sie mit den Amerikanern.“ Die standen inzwischen mit aufgepflanzten Bajonetten, dennoch relativ locker, vor ihren Sherman-Panzern und hatten sich Zigaretten angesteckt. Als Birkefeld das sah, steckte er sich seine Pfeife an und ging langsam auf die Eroberer zu. Mancher erzählte auch, daß Birkefeld eine gerollte Zeitung in die Luft hielt, seine weiße Fahne der Kapitulation. Sein spontaner Entschluß, sich die Pfeife anzuzünden, brach das Eis und rettete Kamen womöglich vor weiterer Zerstörung. Er übergab die Stadt dem Sieger bedingungslos. Aber noch wochenlang standen verlassene Geschütze und zerstörte Panzer am Stadtpark, am südöstlichen Stadtrand und an der Ecke Dortmunder Allee. Und überall lag Munition herum, häufig noch scharf. Trümmerhaufen und scharfe Munition – welcher Junge hätte der Attraktivität eines solchen „Spielplatzes“ widerstehen können? Wer sah schon die Gefahr?

Abb. 3: Gustav Adolf Berensmann

Als Kamen eingenommen war, wurden zuerst zwei Englischlehrerinnen des Gymnasiums, Maria „Pussy“ Ahmer (manche nannten sie auch „Mieze“ oder war es umgekehrt?) und Eleonore Friedrichs, meistens kurz Ellen gerufen, als Dolmetscherinnen ins Rathaus zitiert. Der erste Stadtkommandant erwies sich als großzügig und weitherzig. Er ernannte umgehend ein kleines Ratsherrenkollegium, da an Wahlen nicht zu denken war. Gustav Adolf Berensmann (1886-1964), der schon vor der Naziherrschaft Kamener Bürgermeister gewesen war, mußte jetzt als kommissarischer Bürgermeister ab dem 20. Mai (BM bis zum 31. Mai 1946) den Sonderauftrag umsetzen, alle ehemaligen Nazis unter dem Schiefen Turm zum Schippen und Füllen der Bombentrichter in Kamen einzubestellen, wo sie dann für jedermann sichtbar mit Hacke, Schaufel und Schubkarre malochen mußten. 

Abb. 4: Valentin Schürhoff

Valentin Schürhoff (1891 – 1987), als alter Sozialdemokrat und Gewerkschafter ebenfalls unbelastet, wurde zum Beigeordneten, d.h., stellvertretenden Bürgermeister und nach der Besichtigung von Monopol zum Obmann der Schächte Grillo berufen. Schon am 29. April 1945 übergaben die Amerikaner Kamen den Briten, da nach der Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen die Stadt in der britischen Zone lag.

Abb. 5: Wie mit den Besiegten umgehen?

Und an diesen zwei Tagen, dem 24. und 25. Februar 1945, wurde viel zerstört. Das Ergebnis von etwa 2000 Bomben und Minen aller Kaliber: 245 Tote, die Toten des ersten Angriffstages waren noch nicht beerdigt, als die zweite Angriffswelle erneut viele Tote forderte; 125 Gebäude waren vollständig zerstört, 111 sehr schwer, 350 leicht beschädigt. Die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser brach zusammen. An Straßenbahn-, Eisenbahn- und Autobusverkehr war nicht zu denken, da Schienenstränge, Wagen, Brücken, Autobahnen und Betriebsbahnhöfe mehr oder minder stark zerstört waren, z.T. auch durch die sich zurückziehenden deutschen Truppen. Telephon- und Funkverbindungen waren für Deutsche gesperrt. Selbst noch über das Grubenunglück vom 20. Februar 1946 erfuhr Birkefeld nur über BBC London auf Englisch. 

Abb. 6: Bombentrichter in Kamen, Februar 1945

Die Wasserleitungen waren immerhin schon am 22. April wiederhergestellt, die Busse konnten Mitte Mai schon wieder durchgängig ihre Strecken befahren, die Straßenbahn erst im Sommer wieder, weil es dauerte, gesprengte Brücken, die die Schienen blockierten, zu beseitigen. Gas gab es erst wieder ab Ende Mai 1946. Und weil sich auf den Aufruf zu freiwilliger Räumarbeit nicht genügend Leute gemeldet hatten, erfolgte am 24. April die Anordnung des Bürgermeisters Ernst Fromme, der von September 1944 bis zum 19. Mai 1945 als kommissarischer Bürgermeister amtierte: „Antreten um 7.30 Uhr mit Spaten oder Schüppe an der Post.“

Abb. 7: Getroffen: Kamens Wahrzeichen

Der Schiefe Turm war demoliert, die Kirche Hl. Familie wies an der Ostseite ein großes Loch auf, unersetzliche Kunstwerke waren zerstört, Krankenhaus, Bahnhof, Altersheim, die Druckerei der „Kamener Zeitung“, die VfL-Turnhalle, das damalige Realgymnasium zu einem großen Teil und der Kindergarten der evangelischen Gemeinde waren schlimm getroffen. Und, schlimmer, es gab 245 Tote. 

Abb. 8: Getroffen: Die Pfarrkirche Hl. Familie

Trotz des Grauens des Krieges und der Zerstörungen in der Stadt gab es weiterhin Menschen in Kamen, die unerschütterlich an den Führer glaubten. Bei einem Hausbesuch erlebte ein Kamener Pastor eine 80jährige, die sagte: „Mein letztes Wort ist: Heil Hitler! Dies ist mein allerletztes Wort. Ja! Und den Führer halte ich für meinen Heiland und den Erlöser der Welt.“

Aber für die Überlebenden fing ein neues Leben an. Die anfangs schon zitierte Zeitzeugin sagte: „Zum ersten Mal seit Wochen konnte ich wieder in meinem eigenen Bett schlafen. […] Wir wußten sicher, der Krieg ist für uns vorbei.“

In einer Verfügung der Militärregierung vom 19. April 1945 hieß es: Die Glocken dürfen nicht läuten; nur morgens 6.50 Uhr und abends 5.50 Uhr, wo sie die Ausgehzeit ein- und ausläuten. Außerhalb dieser allgemeinen Ausgehzeit dürfen nur solche Personen die Straße betreten, die einen Paß der Militärregierung haben.

Abb. 9: Ausgangspaß

Daß selbst während einer Zeit des Schreckens komische Slapstickeinlagen passieren, beweist die Geschichte vom „wertvollen Bunker“: „An der Hammer Straße lagen in einem Waldbunker […] rund 50 000 (!) Flaschen alter französischer Cognac-Marken berühmter Häuser. […] Es gelang damals noch in letzter Stunde, die „wertvollen Bunker“ restlos zu räumen, sie unter Beschuß zu bergen, zum Pütt zu schaffen und sie nach Einbruch der Dunkelheit preiswert abzusetzen. Die Folge: Viele der guten Spirituosen entwöhnten männlichen und weiblichen Kamener erlebten den Tag der Uebergabe (sic) nicht so nüchtern, wie es hätte sein sollen.“ Angesichts der nächtlichen Ausgangssperre nicht ungefährlich. Menschlich-Allzumenschliches.

Und Birkefeld berichtet auch über eine Südkamener „Selbstrettungsaktion“: „Sie (Anm.: die Südkamener) hatten das dicht neben dem heutigen Ehrenmal „in ruhmreicheren Tagen“ errichtete steinerne Ehrenzeichen, die Gemeinde habe ihrem Führer bei der letzten Wahl hundertprozentig ihr „Ja“ gegeben, bei Nacht und Nebel verschwinden lassen.“

Kamen, wie ganz Deutschland, mußte von vorn anfangen, neu aufgebaut werden. Die Narben kann man heute noch im Stadtbild erkennen, an den unbedeutenden Bauten aus der Nachkriegszeit, als es, verständlicherweise, vor allem um Wiederaufbau und weniger um Denkmalschutz oder gar Ästhetik ging.

Und es war schwer, Kamen aufzubauen. Es fehlte an allem: Wohnungen, Heizung, Wasser, Kanalisation, Kleidung und, am wichtigsten, an Nahrung. Die Winter waren kalt. Hamstern wurde überlebenswichtig, Tauschhandel wie im MA wurde wieder Standard. 

Und weil die Situation so verzweifelt war, aber jeder überleben wollte und alles, aber wirklich alles dafür unternahm, hatte der Kölner Erzbischof Kardinal Frings das richtige Gespür, als er für die Silvesterpredigt 1946 in Köln-Riehl das siebte Gebot zum Thema nahm und verkündete: „ Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann.“ Damit sanktionierte er den Kohlenklau, der damals von vielen als Überlebenssport betrieben wurde, und schnell auf alles andere ausgeweitet wurde. Mundraub war überlebenswichtig geworden. Und sogleich war für das Stehlen aus blanker Not ein neues Wort geboren: „fringsen“. Und auch „organisieren“ wurde mit einen neuen Bedeutung belegt. Kungeln und tauschen mußten, wo noch nicht bekannt, erlernt werden. Zivilisatorische Errungenschaften gingen verloren. 

Noch mehrere Jahre lang gab es Lebensmittel nur auf Marken, wobei Bergleute wegen ihrer Bedeutung fürs Gemeinwohl (auch der Briten) und ihrer schweren Arbeit besondere Zuteilungen erhielten, vor allem an Fett. Damals wichtig, heute verpönt.  

Abb. 10 & 11: Lebensmittelmarken

Aber auch Denunziation zu eigenem Vorteil war nicht selten. Erfindungsgabe und häuslicher Fleiß verhalfen auch zu neuer Kleidung: Uniformen wurden zu Zivilanzügen, Nazifahnen zu „flammendroten Glockenröcken“ und „aus den weißen Feldern der schwarzen Rune [wurden] aparte ärmellose Blüschen […].“ Und es strömten Flüchtlinge in die Stadt, die im Osten alles verloren hatten, nur mit einem „Rucksack“ in Kamen eintrafen (daher die „Rucksacksiedlung“ im Kamener Osten, was sich auch in den Straßennamen widerspiegelt). Die Einheimischen empfanden sie als Eindringlinge, die ihnen alles Knappe weiter verknappten. „Die sind Flüchtlinge“, hieß es nur zu oft mit einem verächtlichen Unterton, wenn irgendetwas nicht im Sinne der Einheimischen war.

Deutlich verbesserte sich die Situation dann ab Sommer 1948. Am 10. Juli, vor Beginn der 700-Jahrfeier der Stadt Kamen, kam die erste Hilfslieferung mit 100 CARE-Paketen im Wert einer 1.000-Dollar-Spende aus einem kleinen amerikanischen Städtchen in Nebraska, des Bloomfielder Hilfskomitees an. Viele Bloomfielder packten auch aus reiner Nächstenliebe privat Pakete. Bauer Vogt aus der Derner Straße holte sie vom Güterbahnhof, den Kamen damals noch hatte, und brachte sie zum Rathaus, wo sie verteilt wurden.

Abb. 12: Carepakete

Bei einem Besuch in Kamen brachte der US-amerikanische Kongreßabgeordnete Arthur Stefan Konsumwaren wie Kaffee, Schokolade und Fleischkonserven mit. Begleitet wurde er von General Lucius Clay, dem damaligen Militär-Gouverneur der US-Zone in Deutschland. „Kongreßmitglied Stefan hielt eine interessante Rede, in der er die Stadt Bloomfield vorstellte und die Adoption Kamens begründete. Die Deutschen waren überglücklich und viele von ihnen hatten Tränen der Dankbarkeit für die Großzügigkeit Bloomfields und das Geschenk der CARE-Pakete in den Augen“, schrieb Clay an die Bürger von Bloomfield. Dabei war diese Patenschaft eigentlich ein Versehen, hatte Bloomfield doch nur 1500 Einwohner, Kamen gut zehnmal so viele, ohne die Flüchtlinge. 

Eine Sonderkommission verteilte die Hilfslieferungen an bedürftige Kamener. Kamens Bürgermeister Rissel und Stadtdirektor Heitsch teilten dies Claude Canaday, dem Begründer des Hilfswerks in Bloomfield, im Sommer 1948 mit. Im Laufe der Jahre kamen Hunderte Sendungen in Kamen an. Wie lange das genau ging, weiß keiner mehr, aber wohl bis Anfang der 50er Jahre.

Die meisten Kamener, wie wohl auch die meisten Deutschen, empfanden diese Zeit vor allem als Niederlage. Man hatte den Krieg verloren, das Gefühl herrschte noch bis lange in die junge Bundesrepublik Deutschland hinein. Aber dann kam der 8. Mai 1985. Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (1920 – 2015) hielt im Plenum des Deutschen Bundestages eine Rede zum Kriegsende 40 Jahre zuvor. Er sagte: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ 

Abb. 13: Richard von Weizsäcker

Jetzt konnte die Niederlage als Befreiung gesehen werden. Jetzt konnte Vergangenheitsbewältigung begonnen werden. Jetzt konnte ein neues Deutschland entstehen. Aus Zerstörung erwächst auch immer Neues.

KH

Quellen:

Frieling, Christian, Neu geordnet, Kamen zwischen Kriegsende und Kommunalreform, Kamen 2001

Goehrke, Klaus, Burgmannen, Bürger, Bergleute, Eine Geschichte der Stadt Kamen, Kamen 2010

Hellkötter, Wilhelm, Aufzeichnungen kurz nach Kriegsende

Holtmann, Everhard, Hrsg., Nach dem Krieg – vor dem Frieden, Der gesellschaftliche und politische Neubeginn nach 1945 im Kreis Unna, Köln 1985

Keller, Klaus, Das Kriegsende in unserer Heimat

Kistner, Hans-Jürgen (Bearb.), Kamen in den Luftschutz-Tagesmeldungen 9.4.1943 bis 4.4.1945

Kistner, Hans-Jürgen (Bearb.), Aufstellung über die Zahl der Todesopfer im Kriege 1939/45 durch den Luftkrieg in Kamen 

Potthast, Walter, Persönliche Erinnerungen

Schaub, Ellen, Persönliche Erinnerungen

Westfälische Rundschau WR, 9.4.1965, 15.4.1965, 4.5.1965, 21.5.1965, 22./23.5.1965, 10.4.1970, 10.4.2010 

Hellweger Anzeiger (HA), 1.4.1995 

Abbildungen:

Archiv Klaus Holzer: 1, 5, 9, 10, 11

Stadtarchiv: 2, 4, 6, 7, 8, 12

Familie Berensmann: 3

Bundesarchiv: 13

Über Geld und die Städtische Sparkasse zu Kamen

von Klaus Holzer

Über Geld und die Städtische Sparkasse Kamen

Exkurs 1:

gelt (Geld)– urspr. gelt = Gegenleistung jeglicher Art, materiell und auch ideell; heute noch erhalten in gelten, Entgelt, vergelten (Vergelt’s Gott),
gültig = zur Zahlung verpflichtet (aus: Gült = Schuld, Zins; vgl. engl. guilt = Schuld)

Im 12. Jh. fand der Übergang von der Natural-/Tauschwirtschaft zur Geldwirtschaft statt, was zu einer rasanten Intensivierung des Warenaustausches führte. Daher konnte auch die Hanse entstehen (die allerdings noch stark auf Wechsel setzte: jemand stellt einen Wechsel auf eine Person aus, die dann von einem Dritten die entsprechende Summe Geldes ausgezahlt bekommt). Geld wurde also zum beweglichen Äquivalent des Warenwertes, weil es eben leichter zu transportieren ist als z.B. eine Kuh. Dieses Beispiel ist nicht zufällig gewählt: Geld = lat. pecunia. Dieses Wort kommt von pecus = Stück Vieh. Allerdings hatte man mit der Kuh etwas Konkretes im Besitz, daher mußte der Wert des Geldes von einer anerkannten Stelle garantiert werden: Venedig garantierte den Wert des Dukaten ( dux, ducere, ducatus – Herzog, führen, Herzogtum), Florenz den Florens, usw., beide aus Gold.

Erst unter den Merowingern (5./6. Jh.) wurde Silber das bevorzugte Metall, weil es allgemein als „wertvoll“ akzeptiert war. Es wurden Mark, Groschen und Pfennig eingeführt. Münzen können gewogen werden, das hat sich im englischen £ bis heute erhalten.

Pfennig – wahrscheinlich lat. pendere = wägen

Groschen – spätlat. denarius grossus = dicker Denar = Münze mit höherem Wert

Mark – = halbes Pfund Silber oder Gold germ. *marka = Gewichts- und Werteinheit; alte Bedeutung von Mark = Grenzgebiet, Teilung, Geteiltes erhalten

Die Garantie für den Wert des Geldes, der Münzen, übernahmen später Herrscher, Staaten usw. und während der Wirtschaftskrise in den 1920er Jahren in Deutschland auch die Kommunen. Überall wurde Notgeld ausgegeben, auch in Kamen. Am 2. Mai 1919 erscheinen 160.000 Stück 25-Pfennig-Scheine, als erster Kamener Gelddruck.

Abb. 1 & 2: Notgeld Kamen

Als Herrscher die Garantie übernahmen, benutzten sie (schon im alten Rom, vgl. Abb. 7) ihr eigenes Porträt bzw. ihre Krone auch als Werbung/Propaganda für sich selbst: Seht her, ich tue euch Gutes!

Geld sorgt(e) durch seine Wirkung auf Handel und Verkehr für eine deutliche Hebung des Lebensstandards und damit auch für eine tiefgreifende Umgestaltung der Gesellschaft in Leute, die Geld haben und solche, die keins haben.

Einige bekannte Münzen:

écu – frz. Münze, aus lat. scutum = der Schild

crown – engl. Münze, nach der Abbildung der Krone König Henrys VIII 

Dukat – dux, ducere, ducatus – Herzog, führen, Herzogtum; war immer aus Gold, daher ist „Golddukaten“  ein Pleonasmus

Peso – span. Münze; eigentlich „Gewicht“; war die gängige Einheit in den span. Kolonien, Zeichen $, später von den USA für den Dollar übernommen

T(h)aler – (bis 1901 mit -h-) erste Prägung in Hall/Tirol 1486, bekannter geworden nach den Silberfunden in Böhmen, Prägung des „Joachimstalers“ zwischen 1509 und 1528; gab dem US- amerikanischen Dollar seinen Namen

In Kamen gab es 2 Arten von Einwohnern: Bürger und Beisassen, die meisten von ihnen Tagelöhner. Bürger, meist Handwerker und Kaufleute, schworen einen Bürgereid, waren i.d.R. wohlhabender, sie bewohnten ihr eigenes Haus, und hatten mehr Rechte als die Beisassen. Sie waren darüber hinaus auch Ackerbürger, d.h., sie hatten ein Stückchen Land vor der Stadtmauer, das sie für den Eigenbedarf bewirtschafteten. Damit waren sie im wesentlichen autark, im Gegensatz zu den Tagelöhnern, die vollkommen abhängig waren: während der Aussaat- und der Erntezeit war ihre Arbeitskraft gefragt, während des Winters war der Hunger Küchenmeister.

Und weil der eine Bürger dies konnte und der andere das, tauschte man Waren untereinander aus: du machst mir ein Paar Holzschuhe, ich nähe dir einen Kittel, ich gebe dir ein Dutzend Eier (Dutzend = 12 Stück, früher geläufige Einheit im Handel; 5 Dutzend = ein Schock), du gibst mir 2 Liter Milch, usw. Und obendrein gab es Hand- und Spanndienste, d.h., man bezahlte mit eigener Arbeit, was vor allem für unfreie Bauern galt.

Voraussetzung dafür, und Folge davon, war jedoch ein eklatanter Mangel an Geld, man war aufs Tauschen angewiesen, es sei denn, man trieb „Fernhandel“ z.B. mit der Kiepe auf dem Rücken. Normalerweise hatte man nicht die Möglichkeit, auf dem Markt exotische und besondere Waren einzukaufen, z.B. teure Stoffe wie Seide und Brokat. Das änderte sich erst, als Geld in größerem Maße in Umlauf kam, vor allem durch den internationalen Handel, den auch Kamener Kaufleute aktiv mitgestalteten. Mehrere von ihnen waren prominente Kaufleute in der Hanse, wie man noch heute im Lübecker Heilig-Geist-Spital sehen kann. Ein Johannes de Camen war Senator in Lübeck, der Hauptstadt der Hanse. Und nur durch die Geldspenden der Hansekaufleute konnte Kamen seine Severinskirche in den 1370er Jahren wieder aufbauen.

So ging das jahrhundertelang, 500 Jahre lang war wirtschaftlicher Stillstand, bis die Industrialisierung, die in der Mitte des 19. Jh. in Kamen Einzug hielt, das soziale Gefüge des alten Landstädtchens gewaltig umkrempelte: der Industriearbeiter hielt Einzug, der nicht mehr durch Naturalien entlohnt wurde wie einst der Tagelöhner, sondern der seinen Lohn in Form von Bargeld erhielt, das er zum Einkaufen verwendete. Das zog Geschäfte nach sich, in denen er einkaufen konnte. Er hatte zunächst kein Stückchen Land zum Bewirtschaften (später erhielt er Gärten in den „Kolonien“, das waren die Wohnsiedlungen für Bergarbeiter: erinnert das nicht stark an die alten Ackerbürger mit ihrem Stückchen Land vor der Stadtmauer?) und übte keinen Handwerksberuf aus. Er brauchte andere Fertigkeiten. Anfangs war vieles, das der Bergmann tun mußte, einfache, anstrengende körperliche Arbeit, ohne handwerkliche Ausbildung, außer für die Teufe. Aber dann brachte der Bergbau eine große Anzahl von Ausbildungsberufen hervor.

Aber so wurde dann das Geld auch immer wieder einmal knapp, es entstand Bedarf an Kredit. Am 18. August 1857, nur gut 10 Jahre, nachdem die erste Eisenbahn durch Kamen gefahren war (Verkehrsverbindungen waren und sind für wirtschaftliche Entwicklung wichtig), wurde die hiesige Sparkasse gegründet. Ausdrückliches Ziel war es, dem „unbemittelten Teil der Bevölkerung, Gesellen, Dienstboten, Fabrikarbeiter, Tagelöhner, hin und wieder auch Handwerker“ mit Geld zu versorgen, so daß sie bei sparsamer Lebensführung im Alter ein „Auskommen haben, ohne der Gemeinde zur Last zu fallen“.  Die Einführung sozialstaatlicher Verfahren ohne den Sozialstaat! Das war der Hintergrund zur Gründung. Oder, allgemeiner gesagt: Geld für die wirtschaftliche Entwicklung Kamens zur Verfügung zu stellen. (Bismarcks Rentengesetz sowie die Invaliditäts- und Altersversicherung wurden 1889 erlassen.)

Das deutsche Sparkassenwesen entstand im 18. Jh. Die älteste Sparkasse ist die 1778 gegründete „Ersparungskasse“ in Hamburg. Nur acht Jahre später ging die Detmolder Sparkasse aus einer fürstlichen Leihkasse hervor.

Exkurs 2:

Das Sparkassenwesen geht auf das Italien der Renaissance zurück. Konto, Giro usw. sind italienische Wörter. Doppelte Buchführung (Ertrag und Aufwand werden, chronologisch und sachlich, getrennt erfaßt und in einer Bilanz zusammengeführt), Wechsel, alles wurde hier erfunden oder verfeinert. 1462 gab es in Perugia die erste Leihkasse, mit deren Hilfe Franziskanermönche Wucherzinsen bekämpften. Die Florentiner Familie der Medici wurde durch Tuchhandel reich und begründete das moderne Bankwesen. Auch durch ihre Beziehungen zum Papsttum dominierten die Medici die Finanzwelt der frühen Neuzeit. Daß Superreichtum nicht immer schlecht ist, sieht heute jeder Florenzreisende: Ihr Mäzenatentum ermöglichte und prägte die Renaissance in Florenz. 

Auch in Deutschland waren die großen Händler-Familien immer auch Geldverleiher: z.B. die Augsburger Kaufmannsfamilien Fugger und Welser, die eine Art Privatbanken darstellten. Die Fugger waren so reich, daß sie Kaisern und Königen Geld liehen, Kriege finanzierten und europaweit Einfluß übten.

Im Regierungsbezirk Arnsberg war die erste Sparkasse die „Soester Spar-Casse“ von 1824/25, direkt gefolgt von Paderborn und Bielefeld. In den 1830er Jahren gab es allein in Preußen (Kamen gehörte seit dem Ende des Wiener Kongresses 1815 zur Preußischen Provinz Westfalen) mehr als 80 Sparkassen, die meisten in kommunaler Form. Daraufhin wurde das Sparkassenreglement vom 12. Dezember 1838 beschlossen, das dann das Muster für das gesamte deutsche Sparkassenwesen abgab. 

Im hiesigen Raum entstanden die ersten Sparkassen in Unna (1839/40), Hamm (1840), Werne (1856), Kamen (1857). 1884 wurde die Sparkasse für das Amt Pelkum gegründet, die Bergkamen und Bönen mitversorgte, die auch heute noch als Sparkasse Bergkamen-Bönen unabhängig ist. Den entscheidenden Schritt in Camen unternahm am 18. August 1856 der Lehrer Carl Hammacher, der auch der entscheidende Mann für die Gründung des VfL Kamen 1854 gewesen war. Am 1. Juli 1857 nahm die Sparkasse Kamen im Haus Weststraße 81 ihre Arbeit auf.

Abb. 3: Carl Hammacher, Gründer der Kamener Sparkasse

Hammacher sollte erster Rendant (veraltet: Kassenverwalter (einer Gemeinde) aus frz. rendant „Rechnungsleger“, zu rendre „zurückgeben, abliefern, zustellen“, aus lat. reddere „zurückgeben“) werden, doch lehnte die zuständige Behörde das ab, da ein Mann nicht das Schulamt und die Sparkasse gleichzeitig qualifiziert bewältigen könne. So wurde es der Rendant der Kommunalkasse, Wilhelm Schultz. Und in seinem Wohnhaus, eben in der Weststraße 81, wurde die Sparkasse eingerichtet, ein eigenes Gebäude gab es noch nicht. Hier blieb sie bis zum 30. Juni 1867.

Nach der Gründung verfügte die Sparkasse schon im ersten Monat über Einlagen von 1390 Talern, am Ende des ersten Jahres 21577 Taler (64731 Mark) auf 212 Konten, ausgeliehen waren 15917 Taler (47751 Mark) an 63 Darlehensnehmer.

Abb. 4:  Haus  Weststraße 81

Zehn Jahre später sollte Hammacher erneut Rendant werden, wieder wurde er abgelehnt. Dieses Mal wurde es der Auktionskommissar Carl Lange. Der verlegte die Sparkasse zum 1. Juli 1867 in das Haus seines Vaters, Weststraße 70. Hier blieb sie bis zum 20. Juli 1875.

Exkurs 3:

Die ursprüngliche Hausnummer bei durchlaufender Numerierung in Kamen: Haus Nr. 287, mindestens schon 1555 belegt, Eigentümer war der Krämer und Kaufmann Johann Wilhelm Theodor Schulz. Ursprünglich waren alle Häuser in Kamen, wie überall üblich, nach dem Datum ihres Baues numeriert. Fremde (die selten waren) mußten sich durchfragen, was nicht allzu schwer war, weil damals jeder jeden kannte, man war Nachbar auf Lebenszeit. Dieser Zustand hielt bis 1771 an.

Danach wurde eine neue Numerierung eingeführt, weil das alte System wegen der vielen Stadtbrände an seine Grenze gestoßen war: es ging alles durcheinander, weil eben nicht jeder sein niedergebranntes Haus sofort wiederaufbauen konnte. Das dauerte, und so ergab sich die Notwendigkeit einer neuen Numerierung. Diese neue Numerierung jedoch war immer noch eine fortlaufende und immer noch ohne Straßennamen. Dieser Zustand hielt bis 1885 an.

Dann erst wurden Straßennamen und Nummern als zusammengehörig eingeführt. Dabei ging man vom Rathaus/Markt aus stadtauswärts vor. Man zählte dabei rechtsseitig stadtauswärts: 1, 2, 3, … usw., am Ende ging es auf der gegenüberliegenden Seite zurück. Das gilt heute immer noch für die meisten alten Straßen in Kamen, die neueren haben die Seiten nach geraden und ungeraden Nummern getrennt.

Abb. 5: Kaufhaus Schulte

Das Haus Weststraße 70 ist heute nicht mehr vorhanden. Nach seinem Abriß stand hier das Kaufhaus Wallach (später Schulte, Küster, Aldi, REWE, Vögele, heute, 2025, Woolworth). Ursprüngliche Hausnummer bei durchlaufender Numerierung in Kamen: Haus Nr. 209, mindestens schon 1740 belegt. Caspar Dieterich Neuhaus war der erste Eigentümer.

Rendant Lange wurden „schlechte Verwaltung“ und „allerschwerste Verluste“ vorgeworfen. Am 4. Januar 1874 sollte Lange als Zeuge bei einer Schwurgerichtsverhandlung gegen einen Dortmunder Schreiner als Zeuge aussagen. Im Laufe der Verhandlung stellte sich aber heraus, daß es Lange war, der auch Manipulationen einräumte und Gelder zum eigenen Vorteil einbehalten hatte. Laut „Volksfreund“ wurde mit Lange ein Mann von „ungemeiner Achtung“ verhaftet. Lange kündigte zum 1. Juli 1875. 

Der Stadtchronist Friedrich Pröbsting schreibt in seiner Kamener Stadtgeschichte von 1901 zum Thema: „Als die älteste derselben [Anm.: Neugründungen in Kamen] in dieser Periode nennen wir die städtische Sparkasse, welche schon 1857 gegründet worden ist. Die hat bis zur Gegenwart einen immer größer werdenden Umfang gewonnen, aber leider in der sogenannten Schwindelperiode der 70er Jahre durch schlechte Verwaltung die allerschwersten Verluste erlitten. Glücklicherweise konnte die Sorgfalt und hingebende Arbeit des dann 1875 eintretenden Rendanten, Herrn C. Hammacher und seines Nachfolgers, Herrn Aug. Hiddemann, langsam über den großen Schaden hinwegführen, ohne die Stadt in direkte Haftbarkeit zu bringen. Jetzt sind die Verluste längst gedeckt, so daß am Ende des Jahres 1899 der Reservefonds wieder über 227 000 Mark betrug. Die Gesamteinlagen beliefen sich auf 7 033 759 M.-“ (Pröbsting S. 45)

Abb. 6: Weststraße 74 

Jetzt endlich kam Carl Hammacher zum Zuge. Am 21. Juli 1875 eröffnete er als Rendant die Sparkasse Kamen im Hause Weststraße 74 (heute Optik Fielmann), wo sie bis zum 14. Februar 1896 blieb. Hammacher blieb Rendant bis 1892, ab 1888 von seinem Schwiegersohn August Hiddemann unterstützt. Dieser wurde 1892 selber Rendant, nun noch ein paar Jahre lang von Hammacher unterstützt.

Am Ende der Dienstzeit Hammachers waren es 4,3 Millionen Mark (1,333 Mill. Thaler). Hammacher und Hiddemann arbeiteten so gut, daß alle von Lange angerichteten Schäden ausgeglichen waren.

Wie wichtig es für die Entwicklung einer Stadt, aber natürlich auch für Kaufleute und Privatpersonen ist, wenn Geld in Form von Krediten zur Verfügung steht, belegt wiederum Friedrich Pröbsting: „ Zur Erneuerung und Verbesserung des Straßenpflasters, sowie der Wege zu den Stadtgrenzen nach Südcamen und Overberge, wurde im Jahre 1893 die Summe von 70 000 Mark bei der Sparkasse mit einer nur zehnjährigen Tilgungsfrist angeliehen. Hierdurch ist es ermöglicht worden, die Straßen der Stadt in einen vorzüglichen Stand zu bringen.“ (S. 48) Damals wurden keine „Sondervermögen“ und ähnliche haushälterische Tricks diskutiert. Städte liehen sich Geld und zahlten es zurück, warteten auch nicht auf Zuschüsse von Bundes- und Landesregierungen bzw. von Kaisern, Königen, Herzögen usw., die dann auf Teufel komm raus ausgegeben wurden.

Exkurs 4:

Im heimischen Raum sind die ältesten Münzen ca. 2000 Jahre alt. Es sind römische Münzen, goldene, silberne und viele kupferne. Sie wurden im Seseke-Körne-Winkel gefunden und belegen bereits Geldhandel bei unseren Vorfahren, unter römischem Einfluß. 

Abb. 7: Goldmünze aus dem Museum Kamen, gefunden im Seseke-Körnewinkel: ein Solidus mit dem Portrait des Honorius (weströmischer Kaiser von 395 – 423)

Dieser Geldhandel war nicht von Dauer. Durch die Verwüstungen und die Unordnung durch die Völkerwanderung im Frühmittelalter wurde Münzmetall knapp. Erst durch Silberfunde im Erzgebirge und im Harz stand wieder Metall für Münzen zur Verfügung. Durch die Hanse wurde vorher das System der Wechsel gepflegt, dann durch Münzen ersetzt. Aber viele Münzen mit sich zu führen war wegen des hohen Gewichts und des großen Volumens, aber relativ geringen Werts, unpraktisch.

1926 wurde ein großer Münzschatz bei Bauarbeiten am Reckhof gefunden, ca. 350 Silbermünzen, die von vielen verschiedenen Prägestätten zwischen Mecklenburg, Hamburg, Brüssel und Koblenz stammen. Der Schatz muß um 1370 vergraben worden sein. Kaufleute kamen schon damals weit herum. Frühe Globalisierung.

Abb. 8: Münzschatz Reckhof

Münzen wurden früher oft gefälscht, indem man Stücke aus ihnen herausschnitt. Da immer das Gewicht des enthaltenen Silbers entscheidend war, brauchte man also Münzwaagen.

Abb. 9: Augsburger Münzwaage

Exkurs 5:

Münze lat. moneta

Die ersten Münzen wurden wahrscheinlich schon im 12. Jh. v.Chr. in China geprägt, haben sich aber von dort nicht verbreitet. Nach mehreren Zwischenstufen setzten sich Münzen erst mit der griechischen Antike durch, der silbernen Tetradrachme. Von dort ging die Münze nach Rom, wo der silberne Denar die wichtigste Münze war, wenngleich der Sesterz als Rechnungseinheit genommen wurde. Er stand auch als Münze zur Verfügung.

Unter den Karolingern wurde der silberne Denar (= Pfennig) zur dominierenden Münze, er blieb bis ins 13. Jh. die einzige geprägte Münze. 

1266 entstand der Grundtyp des Groschens in Frankreich. 

Erst mit der Entstehung des Dukaten im 15. Jh. in Italien entstand ein sich über ganz Europa ausbreitendes Münzsystem. 

1500 beginnt die Massenproduktion des silbernen Joachimsthalers. Dieser Taler setzte sich weltweit durch, als Ecu, Crown, Peso und Dollar. 

In Deutschland wurde der Taler erst 1871 mit der Reichsgründung durch die Mark verdrängt.

Herbert Heitfeld berichtet, daß das Haus einem Pastor Hiddemann gehörte und 2004 noch im Besitz dieser Familie ist. Beim Umbau des Hauses für eine Zweigstelle der Volksbank in den 1980er Jahren wurde der erste Tresor gefunden. Frau Hiddemann besitzt noch eine alte Petroleumlampe, die damals Verwendung fand. Die damalige Außentreppe wurde später nach innen verlegt.

Abb. 10: Weststraße nach 1909; das Haus der Sparkasse ist das zweite links, mit der Außentreppe

Mit August Hiddemann als Rendanten (ab 1917 erster Sparkassendirektor) zog die Sparkasse am 15. Februar 1896 ins alte Rathaus um, wo sie bis zum 31. Mai 1921 blieb, also 25 Jahre. Zu dieser Zeit gab es bereits Pläne für einen Neubau, da die immer erfolgreichere Sparkasse expandieren wollte, und das ständige Umziehen allmählich lästig und wahrscheinlich auch geschäftsschädigend wurde.

Abb. 11: Spk im alten Rathaus

Ab 1. Juni 1921 befand sich die Sparkasse Kamen im Hause Bahnhofstraße 13, ihrer vierten Bleibe, und blieb dort bis September 1962, 41 Jahre! Wohl deswegen sind wohl heute noch viele alte Leute in Kamen der Meinung, daß dieses Haus „die alte Sparkasse“ sei.

Abb. 12: Gottfried Betzlers Schuhfabrik, Lage gegenüber dem (Mühlen)kolk an der Maibrücke

Anfangs waren die Diensträume der Sparkasse nur im Erdgeschoß, im Ober- und im Dachgeschoß befanden sich Wohnungen. Anfang der 1950er Jahre wurden die Diensträume ins Oberschoß erweitert und neue Fenster eingebaut. Zwei der sechs Fenster auf der Seite zur Seseke wurden geschlossen, die neue Wand mit einem Gemälde des Kamener Künstlers Hans Güldenhaupt geschmückt. 

Abb. 13: „Sparkassengebäude“ in den 1950er Jahren mit einem Wandgemälde von Hans Güldenhaupt

Eigentlich war dieses Gebäude, das von den Kamenern immer als „die Sparkasse“ angesehen wurde, Kamens erste Schuhfabrik von Gottfried Betzler (GB). 1872 legte der Schuhfabrikant GB den Grundstein zu besagtem Gebäude, das ihm wohl auch noch 1901 gehörte, denn in diesem Jahr wurde ihm der Einbau eines Dampfkessels genehmigt. 1891/92 wurde ein Anbau genehmigt. Der Grundstein existiert noch, hinten im Hof. Im Keller wollte GB Beizgruben anlegen. Er besaß auch eine anderthalb PS starke Dampfmaschine für die „Mechanische Schuhfabrik G. Betzler“.

Abb. 14: „Sparkassengebäude“ mit Fenstern auf der Flußseite („Städt. Sparkasse“ zwischen den beiden Fenstern vorn rechts)

Dieses Gebäude kaufte die Sparkasse von der Stadt Kamen 1951, zusammen mit dem Grund und Boden. Als sie es im Jahre 1961 an die Stadt zurückverkaufte, geschah dieses zu einem für die Sparkasse äußerst günstigen Preis. 

1978 schließlich verkaufte die Stadt die Immobilie an RAe Rethage & Götz-Kohring.

Da die Geschäfte der Sparkasse besonders im Zuge des Wirtschaftswunders sehr gut liefen, wurde das Gebäude in der Bahnhofstraße 13 bald zu klein, und es wurden erneut Neubaupläne entwickelt. In dieser Zeit versuchte die Stadt Kamen, sich der „schnellen“ Zeit anzupassen: „Kamen – die schnelle Stadt“ war ihr Motto. Viel Altes wurde abgerissen, Neues an seine Stelle gesetzt. U.a. wurde der alte Schützenplatz vollständig überplant. Er lag auf dem Gelände des Akenschockenhofes (auch Fetthaken– oder Sparrenhof). 

Abb. 15: Urkataster von 1828

Der Schützenhof wurde in den 1960er Jahren abgerissen, das moderne Schuhhaus Wolter (heute Ernsting’s (sic) Family) an seine Stelle gesetzt. Es wurde ein Durchgang vom Markt zum Neumarkt, wie der Schützenplatz jetzt hieß, geschaffen (dafür wurde die Bäckerei von der Heyde am Markt abgerissen und der „Dicke Bölk“ an der Weststraße), um den Markt mit dem Neumarkt verbinden zu können. Aus dem Gebäude Bahnhofstraße 13 zog die Sparkasse am 17. September 1962 aus.

1962 bezog sie zum ersten Mal in ihrer heute (2025) 168-jährigen Geschichte ein eigenes Gebäude, das für weniger als eine Million Deutsche Mark am Neumarkt, vormals Schützenplatz, errichtet wurde.

Abb. 16: Lage am Willy-Brandt-Platz

Abb. 17: Städtische Sparkasse Kamen, 1962

Schon 1974 wurde dieses Gebäude erweitert, da sich die Geschäfte glänzend entwickelten. 

Abb. 17: Sparkasse UNNAKAMEN, Geschäftsstelle Kamen, Haupteingang

1993 wurde der Neumarkt in Willy-Brandt-Platz umbenannt. 1997 fand die nächste Erweiterung und Umgestaltung der Front und des Eingangs statt. Diese ging einher mit einer umfassenden Modernisierung auch des Innenbereichs.

Abb. 18: Sparkasse UNNAKAMEN, Geschäftsstelle Kamen, Rückseite

Seit dem 1. Januar 2013 ist die ehemalige Städtische Sparkasse zu Kamen Teil der Sparkasse UNNAKAMEN, zum 1. Januar 2017 wurde auch die Sparkasse Fröndenberg eingegliedert, ohne daß sich das im Namen niederschlug. Die offizielle Eintragung im Handelsregister lautet Kreis- und Stadtsparkasse Unna-Kamen, Zweckverbandssparkasse des Kreises Unna, der Kreisstadt Unna, der Stadt Kamen, der Stadt Fröndenberg und der Gemeinde Holzwickede. Der Hauptsitz unserer Sparkasse ist jetzt in Unna, wer mit ihr telephoniert, muß 02303 vorwählen. 

Die Zahl der Sparkassenbediensteten hat sich seit 1945, als Herbert Heitfeld als Lehrling bei der damaligen Städtischen Sparkasse zu Kamen anfing, beträchtlich erhöht, von 3 männlichen, 7 weiblichen und 2 Lehrlingen (man beachte: er unterscheidet 1945 nach Geschlechtern, und die Zahl der Frauen ist höher); 2001 unterschied sich bereits deutlich: es gab 128 Vollzeitkräfte, 52 Teilzeit- und Ultimokräfte (= werden regelmäßig am Monatsende für wenige Tage tätig, sie dürfen aber nicht aufgrund einzelner, jeweils neu befristeter Arbeitsverträge beschäftigt werden). 2001 wird nicht nach Mann und Frau unterschieden, damals sollten alle gleich sein, die Trennung nach Geschlecht wird erst später relevant. Heute sind 443 Mitarbeiter in 15 Geschäftsstellen tätig = das Dreieinhalbfache! In gut 20 Jahren! Aber eben auch in der viel größeren Sparkasse UNNAKAMEN.

Das mag an ein paar Zahlen deutlich werden. Heitfeld gibt für 1942 16,5 Millionen Reichsmark (RM) als Einlagensumme an, für 1945 34,0 Millionen, mehr als verdoppelt in nur drei Jahren. Er liefert auch die Begründung gleich mit: Geld war in den 1940ern vorhanden, aber praktisch wertlos, und direkt nach Kriegsende galten die Regeln des Schwarzmarkts, und der funktionierte anders. Jetzt waren z.B. Zigaretten gültige Währung, und wer hatte, tauschte Wertgegenstände wie z.B. Eheringe, Schmuck usw. in Lebensmittel um.

Für 1945 gibt Heitfeld folgende Bilanzzahlen an: 37,8 Mio. RM Spar- und Giroeinlagen, 2,0 Mio. RM Hypotheken- und Kontokorrentkredite, 22,5 Mio. RM eigene Wertpapiere. Die Zahl zum 31. Dezember 2001 lauten: 1.008 Milliarden DM, in Euro 515 Mio. Die Bilanzsumme zum 31. Dezember 2023 der vereinigten Sparkassen beträgt 3,544 Milliarden Euro, das Institut verfügt über ein Eigenkapital von 395,7 Millionen Euro und über Rückstellungen von 61,8 Millionen Euro. Es wird deutlich, ein wie wichtiger Faktor die Sparkasse UNNAKAMEN für den heimischen Wirtschaftsbereich ist.

Da Sparkassen gemeinwirtschaftlich orientiert sind, ist ihr Geschäftsverhalten nicht zuvörderst auf Gewinn ausgerichtet, doch Gewinn muß gemacht werden, sonst funktioniert auf Dauer kein Geschäft. Um hier die Balance zu finden, haben die Sparkassen, also auch die ehemalige Städtische Sparkasse zu Kamen, die heutige Sparkasse UNNAKAMEN, als Geschäftsmodell eine rege Stiftungsaktivität entwickelt: Für Soziales und Bildung wandte sie im Jahre 2023 610.000 Euro auf, für Kultur 570.000, für den Sport 350.000 und für Sonstiges 270.000, insgesamt also rund 1,8 Millionen Euro. In dieser Größenordnung bewegen sich die Stiftungsausgaben seit Jahren. 

Es seien ein paar Leuchtturmprojekte erwähnt: Alle Schulen haben von der Stiftung Zukunft 2019 einen Klassensatz „Calliope“ zur Verfügung gestellt bekommen, Lehrkräfte wurden geschult, um die Digitalisierung an den Schulen zu fördern. Fünf Jahre später erhielten die weiterführenden Schulen einen Klassensatz Ozobot gespendet – ebenfalls verbunden mit einer Schulung der Lehrkräfte. Die Kulturstiftung fördert u.a. Ausstellungen und Konzerte. Jährlich wird ein Stipendium ausgeschrieben, mit dem ein junger Künstler gefördert wird und das mit € 5.500 ausgestattet ist. Manchmal wird auch Kunst angekauft und ausgeliehen. Letztes Beispiel: Das Bild „Kamen“ von Reimund Kasper, das jetzt im Rathaus hängt. Des weiteren wurde die Dauerausstellung „70 Jahre Grundgesetz“ gefördert. Und damit alles mit richtigen Dingen zugeht, entscheidet in den Stiftungen ein Kuratorium von 10 Personen über die Projekte. Das sind unterschiedlich qualifizierte Personen bis hin zu sachkundigen Bürgern. Bezüglich des Kunststipendiums wird die Sparkasse zusätzlich durch den ehemaligen Museumsdirektor der Weserburg in Bremen sowie Kunstprofessoren, die in dem jeweiligen Themenbereich unterwegs sind, beraten.

Ich glaube, so ist ein Teil des Gewinns gut angelegt.

Früher war die örtliche Sparkasse, entsprechend ihrer Gründungscharta, der natürliche Partner der kleinen Leute, weil sie überall, an jedem Ort, vertreten war und sich der lokalen Wirtschaft verpflichtet fühlte, mit der Gemeinde bzw. der Stadt oder dem Kreis als Garantiegeber. Hinzu kam die Beschränkung auf Spargelder und Kreditvergabe. Heute hat sich ihr Geschäftsfeld so ausgeweitet, daß die allermeisten Bereiche des Finanz- und Kreditwesens abgedeckt werden, Immobilien und Versicherungen eingeschlossen, so daß die Sparkasse heute mit Fug und Recht als Bank bezeichnet werden kann.

KH

Eggenstein, Georg (Hrsg.), Vom Gold der Germanen zum Salz der Hanse, Bönen 2008, darin: Peter Illisch, Germanen, Römer und Münzen in Westfalen, S. 59, (Hinweis von Robert Badermann, Stadtarchiv Kamen)

Encyclopedia Britannica, Chicago 1981

Heitfeld, Herbert, „Erinnerungen“, Kamen 2004

Herbert Heitfeld war von 1945 (Lehrling) bis 1988 (Vorsitzender der Vorstands) eine prägende Figur der Städtischen Sparkasse zu Kamen.

Pröbsting, Friedrich, Geschichte der Stadt Camen und der Kirchspielsgemeinden von Camen, Hamm, 1901

Auskünfte von der Sparkasse UNNAKAMEN

Abbildungen:

Jürgen Funke, Kamen: 1&2

Stadtarchiv: 3,7,8,9,10,11,14

Archiv Klaus Holzer: 4,12,13,15

Archiv Walter Christoph: 5

Photos Klaus Holzer: 6,16,17

Augsburger Münzwaage von Peter Neuss, 1791, © Kunstsammlung und Museen Augsburg: 8

Heinz Stoob, Westfälischer Städteatlas, Dortmund 1975 

Kamens Alter Markt – seine Entwicklung

von Klaus Holzer

Der KKK lud zum 19. ZZ am 14. November 2024 ins Kamener Haus der Stadtgeschichte ein und nahm damit eine durch Corona unterbrochene Reihe an Vorträgen wieder auf. Unter dem Titel „Kamens Alter Markt – Photos aus 150 Jahren“ berichtete Ortsheimatpfleger Klaus Holzer über die Geschichte des Kamener Marktplatzes und seine Funktionen im Verlaufe eben dieser 150 Jahre.

Vorweg:

Markt ← mhd. market ← ahd. marcāt/as. markat ←spätlat. marcātus ← lat. mercatus = Kauf, das Ge–/Verkaufte

Geschäfte in unserem Sinne gab es im MA nicht, wohl aber Läden, d.i., einfache Bretter/Latten vor Fenstern, auf denen Waren zum Kauf angeboten wurden. Fensterladen!

Händler, die von Markt zu Markt reisten, hatten zum Schutz ihrer Ware ein Schutzdach = Kram über ihren Wagen gespannt, weil ihre Ware i.d.R. wertvoll war, z.B. aus dem Orienthandel stammte: Seide, Brokat, Barchent (Mischgewebe aus Baumwoll-Schuss auf Leinen-Kette) usw. Alltagsware brauchten sie nicht anzubieten, die wurde vor Ort hergestellt. Das Wort weitete sich auf den „Krämer“ aus. Diese reisenden Krämer kamen auf die Märkte.

Der Referent wies darauf hin, daß dieser Platz, im 14. Jh. angelegt, d.h., durch die entsprechende Bebauung mit Ackerbürgerhäusern definiert, für eine damalige Einwohnerzahl von ca. 1300 unverhältnismäßig groß ist. Selbst für die aktuelle Einwohnerzahl erscheint er recht groß. Aber über die Jahrhunderte hinweg war und blieb er der geographische und gesellschaftliche Mittelpunkt der Stadt.

Fester Bestandteil des Marktplatzes war von Anfang an das Rathaus, schon 1399 zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt. Es enthielt alle notwendigen Amtsräume: das Büro des Bürgermeisters, des Kämmerers, den Ratssaal, alle diese Ämter ehrenamtlich ausgeübt. Nur für die Ratsmitglieder gab es ein Fäßchen Bier (ca. 115 Liter) im Jahr. Daher kommt wohl die Tradition des deutschen Ratskellers? Das wichtigste Amt, das des Stadtsecretarius (Stadtschreiber und Notar), war das einzige bezahlte Amt. Durch ihre Lage war die Stadtverwaltung bürgernah im wörtlichen Sinne. Architektonisch fügte sich das Rathaus perfekt in die Reihe der den Platz umgebenden Ackerbürgerhäuser ein: ein Obergeschoß, mit Krüppelwalmdach, nur die Grundfläche war entsprechend den Anforderungen größer.

Abb. 1: Markttag mit Ausrufer 1868

Kamen hatte im Mittelalter (MA) ein eigenes Gericht, und die Bürger besaßen das privilegium de non evocando, d.h., sie durften in Strafsachen nur von einem Kamener Gericht verurteilt werden. Und obendrein sicherte Graf Adolf II von der Mark der Stadt Marktfreiheit zu: an beiden Jahrmärkten (zu Pfingsten und St. Severin = 23. Oktober) je eine Woche lang und an den drei Wochenmärkten je einen Tag lang. Das bedeutete: „Niemand durfte wegen einer Schuld ohne Verfehlung verpflichtet oder gepfändet werden, sogar nicht, wenn er gesetzlos oder geächtet sein sollte!“

Im 15. Jh. spielte die dynastische Entwicklung eine große Rolle für Kamen. Die Familie 

derer von der Mark starb aus, die Herrschaft ging an den Herzog von Kleve über. Als dieser Familie das gleiche widerfuhr, geriet das Herzogtum in Erbschaftsstreitereien. So landete Kamen 1609 beim Kurfürstentum Brandenburg. Die Brandenburger waren ehrgeizig und schafften es 1701, nach reichlichem Geldfluß (auf Deutsch: Bestechung) sich König in Preußen nennen zu dürfen. Als die Kamener  einen Tag später aufwachten, waren sie preußische Untertanen geworden.

Abb. 2: Sedansäule vor dem umgebauten Rathaus 1878/85

Preußen zentralisierte alles, Kamen verlor 1753 sein Gericht, jetzt war Unna zuständig. 1873 wurde die Zeche Monopol abgeteuft, Tausende von frisch im Süden und Osten Deutschlands angeheuerte Bergleute strömten in die in den 1550er Jahren protestantisch gewordene Stadt, die meisten von ihnen katholisch. Unausweichlich nahm die Zahl der Konflikte innerhalb der Stadt zu, Kamen erhielt sein Gericht zurück. 1878 zog es in das auf das Rathaus aufgesetzte 2. Obergeschoß ein. Doch schon 20 Jahre später bekam es sein eigenes Gebäude in der Bahnhofstraße. Heute befindet sich darin das Haus der Stadtgeschichte, vulgo das Museum.

Abb. 3: Feier zum Sedantag

1872 wurde eine 32 Meter hohe Sedansäule auf den Marktplatz gestellt, genau in den Kreuzungspunkt von Weerenstraße/Lämmergasse (heute: ?) und Weiße Straße/Kirchstraße, städtebaulich wohl durchdacht. Sie sollte an den Sieg in der Schlacht bei Sedan im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 erinnern, die entscheidende Schlacht des Krieges, die in den 18. Januar 1871 mündete: Der preußische König Wilhelm I wurde im Spiegelsaal von Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert. Damit repräsentierte die Säule ein wichtiges Stück deutscher Geschichte, wenn auch seinerzeit, nach unseren Maßstäben, durch Nationalismus befleckt. Leider faßte der Kamener Rat 1956 den Beschluß, das im II. WK beschädigte Denkmal abzureißen. Begründung: as Denkmal sei nur noch ein Torso (der auf der Säule thronende Adler, der seinen halb geöffneten Schnabel drohend nach Westen stieß, weil dort der „Erzfeind“ = Frankreich saß, war im Krieg heruntergefallen); es bilde keine Zierde für den Marktplatz; es stelle ein Verkehrshindernis dar (!). Damit wurde unwillentlich, sicher auch unwissentlich, der erste Schritt in Richtung „Kamen – die schnelle Stadt“ gemacht. Viel schwerwiegender ist die Entfernung dieser Säule allerdings in Hinsicht auf unsere Geschichte und Erinnerungs(un)kultur. Nur Kamener im hohen Alter können sich noch an diese Säule, und wofür sie stand, erinnern. Die jüngeren wissen nichts von ihr, haben wohl zumeist nichts von Sedan und seinen Folgen gehört: Das Erste Deutsche Reich wurde gegründet (lassen wir mal das Heilige Römische Reich Deutscher Nation außen vor), verschwand mit dem Ende des 1. WK; ihm folgte das Zweite Deutsche Reich, das nach nur 15 Jahren verschwand und durch das Dritte (Deutsche) Reich abgelöst wurde, das in zwölf Jahren eine tausendjährige Zerstörung anrichtete.

Mit dem Fall des Denkmals erlosch die Erinnerung. So verdrängt man Geschichte, die doch eigentlich immer als konstitutiv für nationale Identität beschworen wird. Vielleicht verdrängt man allerdings auch nur den Teil, den man nicht mag. Mahnmale aber gehören nun einmal in die Öffentlichkeit, zum Lernen, Wissen und Mahnen.

Abb. 4: Kirmes mit Kleinbahn UKW

Immer wieder, durch die Jahrhunderte, war der Marktplatz der Ort aller Art von Veranstaltungen: Märkte, Kirmessen, Beerdigungszüge gingen diagonal über ihn hinweg, soldatische Aufmärsche gab es und politische, Versammlungen zum 1. Mai, auch Hunderte Motorradfahrer versammelten sich an diesem Tage zur ersten gemeinsamen Ausfahrt im Frühjahr, hier wurden 1946 Carepakete entladen und verteilt, Ostermärsche führten über ihn, Bundeskanzler Ludwig Erhard sprach hier zu Tausenden Kamenern, Musiktage mit Volkstanzgruppen fanden hier statt, Sinfoniekonzerte, Frühlings-, Hanse-, Trödel- und Weihnachtsmärkte, heute zur Winterwelt säkularisiert. Und seit 2012 steht im Frühjahr einige Wochen lang ein Maibaum mittendrauf. Und eines darf nicht vergessen werden: Die 1873 abgeteufte Zeche Monopol zog viele Bergleute mit ihren Familien in die Stadt, damit entstand erstmals die Notwendigkeit eines ÖPNV. Die Kleinbahn Unna – Kamen – Werne, als Straßenbahn bekannt, fuhr gut 40 Jahre lang, von 1909 bis Ende 1950 diagonal über den Marktplatz. Von Anfang an elektrisch! Im Zeitalter der Dampfmaschine, der Dampflok! Wegen der gefährlichen Engstelle zwischen Rathaus und dem gegenüberliegenden Kolonialwarengeschäft Mertin wurden in das Rathaus die Arkaden eingebaut.

Eines ist über die lange Zeit zur Konstante geworden: Der Kamener Schützenverein feiert immer wieder sein Königspaar auf dem Markt, mit Polonäse und allem Drumherum, dessen die Schützen fähig sind. Doch auch das scheint allmählich zu viel Aufwand geworden zu sein, vielleicht aber auch nur ein weiteres Zeichen der allgemeinen Individualisierung der Gesellschaft heute.

Abb. 5: Treueste Marktnutzer: die Schützen

So gehörte der Marktplatz jahrhundertelang den Menschen, die in Kamen wohnten und arbeiteten, Bürger, Handwerker, Ackerbürger und Arbeiter. Dann kamen die 1960er Jahre und alles änderte sich. Ab ca. 1965 gab es den großen Bruch in der Tradition des Marktplatzes, den Bruch, der sich schon 1956 abzeichnete, als die Sedansäule als „Verkehrshindernis“ betrachtet wurde und sie deshalb abgebrochen wurde. Damit einher ging der Abriß etlicher „ansehnlicher alter Fachwerkhäuser“ (Klaus Goehrke) und die Flächensanierung der Nordstadt. Flächensanierung ist natürlich ein Euphemismus: Wenn man „saniert“, ist das etwas Gutes, wenn man „abreißt“, klingt das gleich nach Wahrheit, und die verschreckt. Kurz: Kamen entschied sich gegen „erhalten“ und für „erneuern“. 

Nicht alles, was neu gemacht wurde, war freiwilliges, geplantes Handeln. In Weltkrieg II waren einige Häuser auf der Westseite des Platzes zerstört worden. Die Lücken wurden erst in der zweiten Hälfte  der 1950er Jahre geschlossen, jedoch im neuen Kastenstil, d.h., ohne Stil, ohne Rücksicht auf die vorhandene Altbebauung mit Fachwerkhäusern. 

Abb. 6: Verabschiedung von Pastor Philips, im Hintergrund  zu erkennen: Kriegsschäden

Die Entwicklung brachte auf der Südseite die Verbreiterung der Lämmergasse mit sich, das Haus Markt 5 fiel, heute läuft der Verkehr mehrspurig zwischen Parkplatz und Marktplatz, und auf der Nordwestseite wurde das wunderschöne Fachwerkhaus des Bäckers von der Heyde mit der großen Brezel über dem ersten Obergeschoß der Verbreiterung eines schmalen Weges zur Marktstraße geopfert. Der frühere Schützenplatz wurde zum Neumarkt (seit 1993 Willy-Brandt-Platz), was auch die Bezeichnung „alter“ Markt damals rechtfertigte. 

Abb. 7: Die neue städtische Herrlichkeit: Waschbeton überall

Diese Neuausrichtung wurde dem Zeitgeist entsprechend gestaltet. Waschbeton wurde das vorherrschende Material. Mäuerchen, Bänke, Vitrinen, Blumenkästen, Fassaden – alles aus Waschbeton. „Wer mit dem Zeitgeist verheiratet ist, ist bald Witwe.“ (Kierkegard, dänischer Philosoph). Kamen war nach 25 Jahren schon Witwe.

Jetzt verlor der Marktplatz seine Funktion und sein Gesicht: ein Einbahnstraßensystem umrundete ihn, die Mitte wurde von zwei Straße durchschnitten, die als Zufahrten zu vier Reihen von Parkplätzen dienten. Kamen war die „schnelle Stadt“ geworden, der Marktplatz den Bürgern genommen. Überall wo Altes verschwand, wurde Platz gemacht für das neue Lieblingskind der Kamener, das Auto, meistens ein Käfer. Besonders abstrus: In der Weststraße, damals voller inhabergeführter Läden, durften zwar Autos fahren, nicht aber Motorräder und, jetzt kommt’s, auch keine Fahrräder!

Abb. 8: Die „gute Stube“ der Stadt: ein Parkplatz

Photos noch aus den 1970er Jahren belegen noch etwas anderes. Wie reich war die Auswahl an lokalen Tageszeitungen im Vergleich zu heute, alle Redaktionen am Markt: Da gab es die Westfalenpost, die Ruhrnachrichten, die Westfälische Rundschau, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung und den Hellweger Anzeiger, heute nur noch den HA und die WR, zwei fast identische Zeitungen, weil von einem Verlag, einer Redaktion betrieben.

Abb. 9: Ein Umdenken hat eingesetzt: die Autos sind vom Markt soweit wie möglich verbannt

Erst um 1990 setzt ein Umdenken ein. Der Markt wird erneut umgestaltet – Kierkegard hat recht – die Straßen werden entfernt, bis auf die auf der Südseite, ohne geht’s eben nicht, der Platz den

Bürgern der Stadt zurückgegeben. Städtisches Grün fehlt noch, umfangreiche Außengastronomie, zuvor kaum möglich, hat sich aber etabliert, wird angenommen, im Sommer mit Maibaum, einladend zum Verweilen, nicht mehr für Autos reserviert, gibt es fast mediterrane Atmosphäre: Sitzen im Freien, bei einem Bier, einem Wein, gutem Essen läßt sich gut sitzen und plaudern. 

Abb. 10: Der Markt ist den Kamenern zurückgegeben

Ein Blick von oben auf den Kamener Marktplatz verdeutlicht, daß trotz aller Veränderungen, immer wieder zum Schlechteren, Kamen immer noch eine ansehnliche Stadtmitte hat. An die Stadtverwaltung richtet sich die Aufforderung, eine Denkmalbereichssatzung zu beschließen, die ein städtisches Ensemble von Häusern unter Denkmalschutz stellt, auch wenn einzelne Häuser nicht darunterfallen. Unsere Altstadt darf ihr Gesicht nicht verlieren, ihr Gesicht, das sind ihre Häuser, damit Stadtführungen nicht in Zukunft anfangen müssen: Es war einmal eine Stadt an der Seseke, die …

KH

Historische Photos:

Stadtarchiv, Archiv Walter Christoph & Archiv  Klaus Holzer

Photo Nr 10: Stefan Milk

„Durchbruch“, von Tassilo Sturm: Eine Ergänzung

 

Seit 2016 steht auf der Seite des KKK die vollständige Aufstellung aller Kunstwerke im öffentlichen Raum in Kamen. Das war seinerzeit gewissermaßen eine Pioniertat, gab es so etwas doch nicht bei ihrem Eigentümer, der Stadt Kamen. Viele dieser Kunstwerke wurden im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscherpark aufgestellt. Dazu gehört u.a. auch das Werk „Durchbruch“ von Tassilo Sturm, das seit 1999 auf der Wiese an der Ecke Perthesstraße – Dortmunder Allee in Südkamen steht. 

Das Original-Kunstwerk besteht aus rohem Cortenstahl, den nach kurzer Zeit ein schützender und höchst dekorativer Rostmantel umgibt. Offenbar wurde dieser Rost von einigen Unbekannten mißverstanden, die meinten, ihre eigenen Vorstellungen am Kunstwerk verwirklichen zu müssen und es in den Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold mit dem Wappenadler anstrichen. Um es ganz klar zu sagen: Bei einer solchen Tat handelt es sich um eine Straftat, Urheberrechtsverletzung und Sachbeschädigung. Leider hat die Eigentümerin diese Straftat nicht verfolgt.

Jetzt wandte sich der Künstler an den KKK und bat darum, klarzustellen, daß diese Bemalung eine Verunstaltung und nicht in seinem Sinne sei. Diesem Wunsch kommt der KKK gern nach, verfügt aber über kein Photo, das den Originalzustand zeigt. Sollte ein Leser dieser Zeilen über ein solches verfügen, wird er herzlich gebeten, es dem KKK zur Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen.

Das im Augenblick einzig Tröstliche: Die Farbe blättert ab, der originale Rost kommt allmählich wieder zum Vorschein.

KH

Leben und Sterben in Kamen II

Teil II: Sterben

von Klaus Holzer

Friedhöfe und Beerdigungswesen in Kamen

Das Leben sagt immer zugleich: Ja und Nein.
Er, der Tod, ist der eigentliche Ja-Sager. Er sagt nur: Ja. 

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

Wo es Leben gibt, ist der Tod nicht weit. Geboren und gestorben wird immer. Man muß sich also Gedanken machen, wie man mit solchen, immer wiederkehrenden Ereignissen umgeht: Geburt, Heirat, Tod. Und so bleibt es natürlich nicht aus, daß sich allmählich Rituale herausbilden, die auf die immer gleichen Vorgänge anzuwenden sind. Was macht man mit den Toten? Die einem, als sie noch lebten, lieb und teuer waren? Oder denen man in herzlicher Feindschaft verbunden war? An die man sich erinnern möchte? Oder auch nicht? Egal wie, hier helfen Rituale, sie geben Halt und Sicherheit in ungewissen, schwierigen Situationen. Gibt es ein Leben nach dem Tode, einen Ort, an dem man sich eines Tages wiedersehen wird? Wohin also mit ihnen?

Abb. 1: Friedhofsengel

Im Mittelalter (MA, ma) war der Mensch sehr gottgläubig, der christliche Glaube bestimmte sein Leben von der Wiege bis ins Grab, bestimmte den ganzen Tages- und Jahresablauf, selbst der Tageskalender trug nur die Namen von Heiligen. Beispiele aus Kamen: Der Kamener Bürgermeister wurde im MA immer an Petri Stuhlfeier gewählt: dem 22. Februar;  Severinstag: St. Severin war der Kamener Schutzpatron, dem auch die erste große Kamener Kirche geweiht war, sein Tag ist der 23. Oktober. Leben und Sterben in Kamen II weiterlesen

Leben und Sterben in Kamen I

von Klaus Holzer

Teil I: Leben in Kamen

Die Anfänge – Historisches

Am Anfang gab es zwei Arten von Kamenern, Bürger und bloße Einwohner, auch Beisassen genannt, meist Tagelöhner. Erstere hatten Eigentum und das Bürgerrecht und waren Handwerker und Ackerbürger. Nicht jeder konnte Bürger sein: er mußte eine Gebühr von 2 – 5 Talern an die Stadt bezahlen, je nach Vermögen; er mußte ein Handwerk ausüben, das seine Familie ernähren konnte; er mußte Steuern und Abgaben bezahlen; er mußte sein Teil zur Verteidigung der Stadt beitragen; er mußte einen ledernen Eimer bei der Feuerwache im Rathaus abgeben und bei (den damals häufigen) Bränden beim Löschen kräftig mithelfen; er mußte, und das war besonders wichtig, den Bürgereid leisten. 

Exkurs 1: Ich zitiere diesen Eid hier vollständig, weil er bezeichnend ist für die Verpflichtung, die der Bürger im MA im Verhältnis zu seiner Stadt, seiner Heimat, einging, wie das private Wohlergehen mit dem Gemeinwohl verbunden war: 

„Ich, … gelobe und schwöre einen Eid zu Gott, daß ich Seiner Kurfürstlichen Durch- laucht, Herrn … Kurfürsten von Brandenburg (Anm: Dieser Wortlaut galt also zwischen 1609 = Kamen wird brandenburgisch und 1701 = Brandenburg wird Preußen) usw., auch Herren Bürgermeistern und Rat dieser Stadt in allen Sachen treu und hold, auch gehorsam sein, ihr Gebot und Verbot nicht verachten, Ihrer Kurfürstlichen Durchlaucht dem Herrn usw. und dieser Stadt Bestes mit äußerstem Vermögen vorstellen, das Aergste und Widerwärtige abwenden und verhüten helfen, und da ich etwas hören oder vernehmen würde, daß hochgemeldeter Ihrer Kurfürstlichen Durchlaucht ins Haupt, auch Bürgermeistern und Rat hierselbst, und gemeiner Stadt zur Verkleinerung oder nachteiligen Part gereichen thäte, dasselbe nicht verschweigen, sondern an behörenden Orten anbringen; da ich aber zu anderen dergleichen Zusammenkünften gefordert, daselbsten zu keiner Unruhe, sondern zu allem friedfertigen Wesen, Ursach und Anlaß geben; Leben und Sterben in Kamen I weiterlesen

Weihnachtsgruß des KKK

Liebe Kulturfreunde,
Nach 9½ Jahren KKK-Internetseite gibt es eine erfreuliche Besucherbilanz: Bis zum 10. Dezember 2023 haben 154.673 Besucher unsere Seite besucht und dabei 982.654 Artikel aufgerufen. Aber in der Kamener Geschichte gibt immer noch viele Nüsse. Der KKK hilft Ihnen weiter beim Knacken unter www.kulturkreiskamen.de.
Viele Grüße
Klaus Holzer

Die Severinskirmes in Kamen

von Klaus Holzer

Sim-Jü ist in unserer Region jedermann ein Begriff, und auf die betreffende Frage gibt es nur eine Antwort: „Die älteste Kirmes, das älteste Volksfest in der Gegend ist Sim-Jü.“ Die Stadt Werne ist etwas zurückhaltender und nennt Sim-Jü „das größte Volksfest an der Lippe, das seit der Verleihung des Marktrechtes im Jahr 1362 gefeiert“ wird. Sein Name leitet sich vom Tag Simon und Juda her, dem 28. Oktober, der immer für das Datum des Festes maßgeblich war. 

Viel weniger bekannt ist die Kamener Severinskirmes, vielleicht weil sie weniger Kontinuität aufzuweisen hat? Weniger beworben wird? Weniger traditionelle Elemente wie z.B. einen Viehmarkt aufzuweisen hat? Aber ein Blick in die Geschichte, genauer in eine Urkunde im Kamener Stadtarchiv, zeigt: die Severinskirmes ist älter als Sim-Jü, wie der frühere Kamener Stadtarchivar Hans-Jürgen Kistner 1996 herausfand. Ob sie freilich durchgängig stattfand, ist fraglich. Camen war im Mittelalter (MA) lange Zeit die zweitwichtigste Stadt in der Grafschaft Mark, wurde dann aber durch Stadtbrände (insgesamt 11, der letzte 1712) und Kriege (vor allem den Dreißigjährigen Krieg) und durchziehende Söldner aus vielen Nationen schwer getroffen. Sie forderten Kontributionen und plünderten, die Stadt und ihre Bürger verarmten. Besonders aber wütete die Pest in der kleinen Stadt. Das erste Mal trat sie bereits im Jahr 1580 auf. Und in den sowieso schon schweren Kriegsjahren zwischen 1618 und 1648 wütete die Pest 1624/25/26 und 1636 und forderte mehr als die Hälfte der Einwohner. Es ist kaum vorstellbar, daß unter solchen Umständen Kirmessen stattfanden.

Abb. 1: Urkunde vom 4. Juli 1346

Im Kamener Stadtarchiv gibt es eine Urkunde vom 4. Juli 1346, in welcher es in der Übersetzung aus dem Lateinischen von Ruth Merschmann und Hartmut Höfermann, früher am Städt. Neusprachlichen Gymnasium Kamen, bei Theo Simon veröffentlicht, Lehrer ebendort, heißt: „Ebenso haben wir zwei Jahrmärkte gewährt, einen zu Pfingsten, den anderen am Tage des seligen Severin (Anm.: 23. Oktober), des Schutzpatrons ihrer Kirche, und zwar in der Weise, daß niemand an diesem und den drei unmittelbar vorangehenden und folgenden Tagen (Anm.: Dauer also eine Woche!) wegen einer Schuld ohne Verfehlung verpflichtet oder gepfändet werden darf, sogar nicht, wenn er gesetzlos oder geächtet sein sollte. Ebenso haben wir beschlossen, daß drei Wochenmärkte, am Sonntag und am Montag und Donnerstag, mit derselben Freiheit wie die gewährten Jahrmärkte zu halten sind.“ Die Severinskirmes in Kamen weiterlesen

Kamener Köpfe: Dr. Walter Elger

von Klaus Holzer

Dr. Walter Elger, geb. 25. Dez. 1938

Abb. 1: Dr. Walter Elger, geb am 25. Dezember 1938 in Kamen

Exkurs 1: Als Thomas Robert Malthus (14. oder 17. Feb. 1766 – 23. Dez. 1834) im Jahre 1798 seinen „Versuch über das Bevölkerungsgesetz“ formulierte, wonach die Bevölkerungsgröße durch die verfügbare Nahrungsmittelmenge begrenzt und bestimmt sei, waren seine Grundannahmen zwar falsch, doch hatte er ein Problem erkannt, das bis heute im Kern nicht gelöst ist. Er postulierte, die Bevölkerung wachse in geometrischer Progression, also in gleichbleibenden Wachstumsraten bei immer größeren absoluten Werten, die Nahrungsmittelproduktion dagegen in arithmetischer Progression, also mit gleichbleibenden absoluten Zuwächsen. Daher reiche die Erde irgendwann nicht mehr aus, alle Menschen zu ernähren. Hunger führe zwar zu erhöhter Sterblichkeit, doch sei sexuelle Enthaltsamkeit zusätzlich vonnöten. Auf dieser Grundlage kam es bereits im 19. Jh. in den USA zu ersten Überlegungen von Geburtenkontrolle. Daß Malthus damit die Menschen insgesamt überforderte, ahnte er möglicherweise schon, doch gab es zu seiner Zeit eben noch keine anderen Möglichkeiten. Kamener Köpfe: Dr. Walter Elger weiterlesen

Das 17. Zeitzeichen des KKK: Helden Teil 2

Teil 2: Klaus Holzer – Reale Helden

Weniger klar umrissen als in der antiken Literatur ist das Bild des Helden in der heutigen Realität. Ganz nah beieinander liegen hier die Begriffe Held: positiv besetzt, aber unerreichbar; Vorbild: positiv besetzt, vom einzelnen erwählt, daher erreichbar; Idol: positiv besetzt, deutlich über dem Durchschnittsmenschen stehend, dennoch erreichbar.

Der Held ist eine herausragende Persönlichkeit mit einzigartigen Fähigkeiten, er braucht immer einen Widerpart, wagt sich auf terra incognita vor und trifft in der Regel eine ethische Grundentscheidung. Vorbild und Idol haben es einfacher: es gibt sie, sie existieren ohne weitere Bedingungen. 

Der antike Held zählt heute nicht mehr, weil es seine Art zu kämpfen in der digitalisierten Welt nicht mehr gibt (ferngelenkte Rakete statt Schwert), was früher terra incognita war, ist heute Touristenziel. Herausragende Leistungen gibt es auch heute noch, werden aber i.d.R. von Organisationen wir médecins sans frontières erbracht. Organisationen taugen aber nicht zu Helden, dort wird man Mitglied oder spendet. Helden sind immer Einzelpersonen.

Abb. 1: Kruzifix von Werner Habig

Sonderfall Jesus: Der klassische Held siegt oder geht im Kampf unter, das ist seine Entscheidung. Jesus siegt im Tod, weil dieser durch Gottvater vorbestimmt ist. Er hat keine Aktions-, sonder eine Passionsgeschichte. Aber weiß Jesus das? Kann er Vorbild sein? Oder kann man ihm nur folgen? An ihn glauben? Eine Glaubensfrage.  Das 17. Zeitzeichen des KKK: Helden Teil 2 weiterlesen